Morland 01 - Die Rückkehr der Eskatay
überlegte, wo er die Sachen verstecken sollte. Er konnte sein Zimmer zwar abschließen, doch eine verriegelte Tür, die sonst immer offen stand, würde nur den Argwohn des Privatsekretärs wecken. Außerdem war Egmont ohnehin im Besitz eines Zweitschlüssels. Also, wo versteckte man am besten einen Baum? Natürlich im Wald. York besaß nicht sehr viele Unterlagen, doch hatten die Unterrichtshefte genau dasselbe Format wie die Adoptionsurkunde. Er strich den Bogen wieder glatt und legte ihn so in seine Hausaufgabenkladde, dass man ihn nur fand, wenn man gezielt danach suchte. Den Zettel mit den Zahlen steckte er in seine Hosentasche. Das war seine nächste Aufgabe: Er musste herausfinden, was die Nummern bedeuteten.
Doch bevor er in die Bibliothek ging, stattete er der Küche einen Besuch ab. Wahrscheinlich würden die Recherchen länger dauern, da war es ratsam, sich ein paar belegte Brote zu besorgen. Sowieso schien es, dass diese Sprünge seinen Stoffwechsel beschleunigten. Jedenfalls verspürte er einen nagenden Hunger.
Das Personal war nicht mehr da, als er die Küche betrat. Ein Blick auf die Uhr sagte York, dass die Köchin schon seit zwei Stunden Feierabend hatte. Er stieg hinab in den kühlen Keller, um sich eine Wurst, etwas Käse, zwei Äpfel und eine Flasche eingekochten Holundersaft zu holen, den er lieber mochte als das muffig schmeckende Wasser, das aus den Wasserhähnen lief. York schnitt vier dicke Scheiben Schwarzbrot ab und trug alles einen Stock höher.
Zwei der vier Zahlen auf dem Zettel ergaben auf den ersten Blick keinen Sinn. Sie waren achtstellig, wobei ihnen jeweils ein N und ein O vorangestellt waren. Die beiden anderen hingegen waren leichter zu identifizieren. i C 24 und i3 F ii waren Registraturnummern. Die Bibliothek des Richters war so umfangreich, dass er die Bücher systematisch geordnet hatte. Die erste Zahl gab das Regal an, der Buchstabe das Brett und die zweite Zahl das jeweilige Werk.
Es stellte sich heraus, das i C 24 ein Buch war, das sich mit morländischen Mythen und Legenden beschäftige, verfasst von einem gewissen J. Campbell. York zog es heraus und betrachtete es von allen Seiten. Es war in rotes Leder eingebunden, hatte einen Goldschnitt und sah auch sonst sehr wertvoll aus, obwohl es schon recht abgegriffen war. Er setzte sich in einen der Sessel und schlug das Buch auf.
Jahrelang hatte York isoliert in diesem Haus gelebt. Einzig Herrn Diffrings Unterricht war es zu verdanken gewesen, dass er dennoch wenigstens ein vages Bild von der Welt jenseits der Mauern hatte. Von der Legende, die hier erzählt wurde, hatte er noch nie etwas gehört.
Sie handelte vom Ursprung Morlands. Wie in allen Geschichten war es ein Kampf zwischen Gut und Böse, den Rittern des Lichts gegen die Mächte der Finsternis gewesen, die nicht von dieser Welt waren. Das Böse bemächtigte sich normaler Männer und Frauen, indem es sie verwandelte, ihnen unterschiedlichste magische Gaben schenkte und sie so nahezu unbesiegbar machte. Man nannte diese Menschen Eskatay. Alles, was York über die Eskatay und ihre Gaben las, klang nach Boshaftigkeit und nach Wahnsinn. Tatsächlichhatte die Macht den Geist der Eskatay vernebelt. Sie fühlten sich den normalen Menschen überlegen und zettelten einen Krieg an, der Jahrzehnte dauerte und den am Ende keiner der Eskatay überlebte. Es musste ein entsetzliches Schlachten gewesen sein, denn als die Waffen endlich schwiegen, suchte die Welt ein Jahrhunderte wärender Winter heim, an dessen Ende nur zwei Menschen übrig geblieben waren: ein Mann und eine Frau. Ihnen hatte die Mythologie die Namen Askas und Emblar gegeben, wobei Campbell bemerkte, dass diese altsprachlichen Namen so viel wie Esche und Ulme bedeuteten, zwei Hölzern, mit denen man in manchen Gegenden noch heute ein Feuer durch Reibung entfachte.
Die Legenden sprachen auch davon, dass die Eskatay unterschiedliche Fähigkeiten beherrschten. Manche manipulierten Materie, andere waren hervorragende Heiler. Dann gab es Eskatay, die alleine durch die Kraft der Gedanken normalen Menschen ihren Willen aufzwingen konnten, während andere Dinge schweben ließen oder in Sekunden beliebige Entfernungen überwanden. Nicht alle waren gleichmäßig stark, und keiner von ihnen beherrschte alle Formen der Magie, sondern immer nur Teilaspekte. Warum das so war, erklärte Campbell nicht.
Nachdem York die zwanzigseitige Einleitung gelesen hatte, widmete er sich den Geschichten in diesem Buch. Die magisch
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