Morland 02 - Die Blume des Bösen
die unerwartet auftauchten. Ein Wolf mit blutbesudelter Schnauze. Eine nächtliche Schneelandschaft.Eine erschöpfte Frau. Und ein Kind, für das Begarell sehr viel empfand. Mersbeck war sich nicht sicher, ob es ein Mädchen oder ein Junge war, dazu war es zu dick angezogen gewesen. Soviel Mersbeck wusste, hatte der Präsident nie eine Familie gehabt. Woher kamen also diese Bilder?
Das waren Fragen, die zu stellen durchaus interessant gewesen wäre. Aber sie waren nichts im Vergleich zu denen, die die Artefakte aufwarfen, deren Funde immer zahlreicher wurden und ein Licht auf jene Zivilisation warfen, die vor ihrem Untergang diese Welt beherrscht hatte. Noch waren die Lücken in dem verwirrenden Puzzle zu groß, als dass sie ein schlüssiges Gesamtbild ergaben. Aber so viel war sicher: Die alten Legenden hatten einen wahren Kern. Der Krieg zwischen den Eskatay und den Menschen hatte tatsächlich stattgefunden und die Welt beinahe zerstört. Und die Blumen hatten dabei eine wichtige Rolle gespielt.
Mersbeck hatte sich eingehend mit ihnen beschäftigt, natürlich unter isolierten Bedingungen. Noch war ihre Existenz ein Geheimnis. Der Schrecken des Krieges, der nun schon so viele Jahrtausende zurücklag und über den es keine zuverlässigen Quellen gab, hatte sich tief ins kollektive Unterbewusstsein gegraben. Ohne es zu merken, lebte die Menschheit in einem traumatisierten Zustand. Im Laufe der Jahrhunderte hatten sich zwar viele Tabus verflüchtigt, doch eines war geblieben: das Verbot jeglicher Form von Magie, die seit Tausenden von Jahren mit dem Tod bestraft wurde. Mersbeck fragte sich, was passieren würde, wenn die Menschheit erfuhr, dass die Eskatay, die Verkörperung des Bösen, zurückgekehrt waren.
Nachdem die Unverwundbar gelandet war, wies Mersbeck Kapitän Stalling an, das Gelände wegen der gefährlichen Fracht weitläufig räumen zu lassen. Er wusste nicht, ob die Abschirmung der Bleikiste stark genug war, um alle vor den Folgen des unsichtbaren Lichts zu schützen. Mersbeck wollte unter keinen Umständen ein Risiko eingehen. Kapitän Stalling, der immer noch etwas blass um die Nase war, kehrte mit einem kleinen Rollwagen zurück und gemeinsam schoben sie ihn unter die Kiste.
»Ich möchte, dass Sie sich gründlich untersuchen lassen«, sagte Mersbeck.
»Was verstehen Sie unter gründlich?«, fragte der Kapitän. »Sie bleiben mindestens eine Woche zur Beobachtung auf der Krankenstation.«
Stalling quittierte die Order mit einem knappen Nicken. Das war das Gute bei ehemaligen Offizieren: Sie waren es gewohnt, Befehlen zu folgen.
»Ich werde das Fundstück genauer untersuchen lassen, und sobald wir mehr über dieses unsichtbare Licht erfahren haben, werde ich Sie informieren.«
Stalling nickte erneut, salutierte und trat ab. Mersbeck betrachtete die Bleikiste, als würde sie den Teufel beherbergen. Schließlich gab er sich einen Ruck und schob den Wagen zu einem kleinen Pavillon, der wie ein Geräteschuppen aussah. Bewacht wurde er von zwei Soldaten, was dafür sprach, dass dort nicht nur Sensen und Heckenscheren aufbewahrt wurden. Tatsächlich barg das kleine Häuschen, das durch ein mechanisches Zahlenschloss gesichert war, einen Lastenaufzug, der weit hinab in den Untergrund führte. Offiziell verbargsich dort unten das Kernstück von Station 9, ein Labor, zu dem es noch einen Zugang im Haupthaus gab und in dem die Artefakte gesichtet, katalogisiert und untersucht wurden. Nur wenige Institutsangehörige hatten vom Geheimdienst die Freigabe bekommen, dort unten zu forschen. Hier arbeiteten ausnahmslos von Swann überprüfte Wissenschaftler und Militärs, die loyal bis ins Mark waren.
Mersbeck grüßte den wachhabenden Soldaten, verriegelte das Gitter des Aufzugs und legte einen Hebel um. Mit einem Zischen öffnete sich das Ventil, mit dem der Korb festgehalten wurde, und mit einem Ruck setzte sich der Lift in Bewegung. Die Fahrt dauerte drei Minuten und vollzog sich in absoluter Dunkelheit. Erst als er das Tiefgeschoss erreichte, wurde es heller. Ein zweiter Ruck und der Korb stoppte. Mersbeck öffnete die Gittertür des Aufzugs und trat hinaus in einen langen Korridor, der in das blaugrüne Licht zahlreicher brummender Quecksilberdampfröhren getaucht war. Einige Männer und Frauen in weißen Kitteln drehten sich überrascht um, denn es kam selten vor, dass der Lastenaufzug benutzt wurde.
Mersbeck schlug mit der flachen Hand auf einen roten Knopf. Augenblicklich erloschen die
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