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Morland 02 - Die Blume des Bösen

Titel: Morland 02 - Die Blume des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schwindt
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pulsierte leicht, als es die schwebenden Teilchen in sich aufnahm. Mersbeck schluckte. Er hatte schon lange mit diesem blumenähnlichen Gebilde gearbeitet, aber so etwas hatte er noch nie beobachtet.
    Mit zitternden Händen entriegelte er den Verschluss der Bleikiste und hob den Deckel. Wie ein Schwarm winziger Glühwürmchen stiegen die grünlich schimmernden Lichtpunkte auf und schwebten auf das Eskaton zu, wo sie mit der Blume verschmolzen. Dieser Vorgang, der träge begann, beschleunigte sich nun zusehends, nahm an Stärke zu, bis aus dem langsamen Strom ein eng gebündelter Bogen aus Licht wurde, der die Luft auflud und sie nach Ozon riechen ließ.
    Zwei Dinge geschahen jetzt gleichzeitig: Das Artefakt schien im Zeitraffer zu altern, porös zu werden und gleichsam zu erodieren, während das Eskaton immer heftiger vibrierte und dabei die Amplitude vergrößerte, bis die Blume an zwei Orten gleichzeitig zu sein schien. Als der letzte Funke absorbiert worden war und sich das Artefakt aufgelöst hatte, verschwanden die verwaschenen Zwischenbilder. Das Eskaton hatte sich wirklich und wahrhaftig verdoppelt. Dochdamit war es noch nicht zu Ende! Die beiden Blumen vibrierten weiter, teilten sich erneut, und diese vier teilten sich wieder, sodass plötzlich acht Blumen auf dem Podest lagen.
    Mersbeck hatte die Augen weit aufgerissen. In seinem Kopf hob ein vielstimmiges Summen an. Er war so überrascht von diesem Ereignis gewesen, dass er die Abschirmung seines Geistes fallen gelassen hatte. Was immer gerade geschehen war, das Kollektiv hatte es miterlebt. Aus dem Summen wurde ein einziger Triumphschrei, der beinahe Mersbecks Schädel explodieren ließ. Sie waren gerade Zeugen eines Wunders geworden! Eines wirklichen und wahrhaftigen Wunders! All die hochfliegenden Pläne, die das Kollektiv geschmiedet hatte, waren an der mangelnden Reproduktionsrate der Blumen gescheitert. Doch das war jetzt anders! Noch nie hatte sich ein Eskaton so schnell geteilt!
    Mersbeck verdrängte den Jubel in den hintersten Winkel seines Verstandes, damit er sich selbst wieder denken hören konnte. Er musste jetzt einen klaren Kopf behalten, wenn er herausfinden wollte, was gerade geschehen war. Vorsichtig ging er in die Knie, wobei sein Latexanzug quietschend protestierte, und untersuchte die Eskaton genauer. Es war absolut unmöglich, die ursprüngliche Blume von ihren Abkömmlingen zu unterscheiden. Mersbeck spürte, wie ihm unter dem Schutzanzug der Schweiß den Rücken hinablief. War das wirklich der Durchbruch? Stand die Revolution der Eskatay nun wirklich kurz bevor? Ein flaues Gefühl machte sich in seinem Magen breit. Wenn die Dinge jetzt endlich ihren lang erwarteten Gang nahmen, würde es Tote geben. Viele Tote. Männer. Frauen. Und Kinder.
    Bisher hatte Mersbeck sein Gewissen immer damit beruhigt, dass er ein Wissenschaftler war, der nichts anderes tat, als seinen Beruf auszuüben. Und arbeitete er nicht unter geradezu paradiesischen Umständen, um die ihn jeder beneiden würde? In wenigen Jahren hatte er Dinge erreicht, von denen selbst seine ehemaligen Professoren an der Universität nur träumen konnten – wenn ihre Fantasie dazu ausreichte, sich Dinge wie dieses Labor vorzustellen. Doch der Stachel des Zweifels hatte sich schon früh in Mersbecks Fleisch gebohrt. Er kannte die Männer, die das Kollektiv beherrschten. Begarell und die anderen hielten sich für Götter, unangreifbar und den magisch unbegabten Menschen in jeder Hinsicht überlegen. Und sie kannten keinerlei moralische Skrupel. Bald würden sich die Verhältnisse nicht nur in Morland ändern. Ja, es stand in der Tat eine Revolution bevor, und Mersbeck fragte sich nun, was er tun konnte, um sie zu verhindern. Denn wenn er aufseiten des Kollektivs stand, würde auch er seine Hände mit Blut besudeln.
     
    ***
     
    Nachdem die Razzia beendet war und Tess sich von der Familie verabschiedet hatte, die ihr Schutz vor den rücksichtslos vorgehenden Soldaten gewährt hatte, machte sie sich ohne Umwege auf den Weg nach Süderborg zu Nora Blavatskys kleinem Kramladen. Wenn die alte Frau, die Tess nach der Flucht aus dem Waisenhaus geholfen und den Kontakt zur Armee der Morgenröte hergestellt hatte, ebenfalls ein Gist war, wusste sie sicher, was Tess zu tun hatte.
    Es war schwer, sich unauffällig in einer Stadt zu bewegen, die sich im Ausnahmezustand befand. Die einzigen Geschäfte, die noch geöffnet hatten, waren von Soldaten bewachte Lebensmittelläden und Bäckereien.

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