Morland 02 - Die Blume des Bösen
hatte er es betreten, als er Hakon befreit hatte. Diese Festung war ein Ort, an dem man getrost jede Hoffnung aufgeben konnte. Eine Verurteilung zu zehn Jahren kam einem Todesurteil gleich. Niemand überlebte diese Hölle länger als sechs Jahre, mit Ausnahme vielleicht von den Großmeistern der Boxvereine. Diese Bünde hatten wenig mit Sport, dafür aber sehr viel mit dem organisierten Verbrechen zu tun. Ihre Anführer betrieben vom Gefängnis aus weiter ihre Geschäfte. Ihnen war es egal, ob sie im Knast saßen oder die Welt draußen unsicher machten. Sie und ihr Hofstaat genossen alle erdenklichen Vergünstigungen, denn die armselig besoldetenWärter waren käuflich wie Hafendirnen. Gegen Geld besorgten sie alles, mit Ausnahme von Waffen und Drogen. Doch dafür gab es andere Bezugsquellen.
Im Gegensatz zu den Gefangenen in den Nachbarzellen, die vor Angst und Ungewissheit schluchzten und jammerten, wusste Lennart also, was ihn erwartete. Dies hier war nur die Vorhölle, ein besseres Wartezimmer. Morgen, spätestens übermorgen würde eine Kommission unter dem Vorsitz des Direktors entscheiden, in welchem Trakt er die nächsten Jahre verbringen würde. Lennart kannte sich mit den Gesetzen aus. Nachdem Präsident Begarell den Ausnahmezustand ausgerufen hatte, gab es keine rechtsstaatliche Gerichtsbarkeit mehr. Man würde ihn im Eilverfahren verurteilen und wegen Aufruhrs, Verrats oder was auch immer wegschließen, um dann den Schlüssel fortzuwerfen. Er konnte froh sein, wenn man ihn nicht gleich an die Wand stellte.
Dennoch beschlich Lennart beim Gedanken an seine Gerichtsverhandlung ein Gefühl der Unruhe. Wenn ihr nämlich der Direktor vorsaß, dem er bei der Befreiung Hakons schon einmal begegnet war, dann hatte er ein Problem. Zum einen würde es nicht lange dauern, bis die Eskatay wussten, wo er war. Zum anderen würde die Nachricht, dass ein ehemaliger Chefinspektor der Polizei und Agent des Geheimdienstes unter den Gefangenen weilte, Lennarts Leben nicht gerade einfacher machen. Wie auch immer, er konnte nichts weiter tun als abwarten, was der morgige Tag bringen würde. Er legte sich auf die Pritsche und lauschte den Schreien der Verzweifelten, während er an seine beiden Kinder dachte.
Das Tribunal hatte sich schon früh am anderen Morgen eingefunden. Lennart besaß zwar keine Uhr mehr, aber als ihn die Wache weckte und ihm Handschellen anlegte, war die Sonne noch nicht aufgegangen. Er wurde in einen kleinen Raum geführt, an dessen Stirnseite unter dem von zwei Fahnen flankierten morländischen Wappen ein lang gezogener Tisch stand, hinter dem vier Männer und eine Frau Platz genommen hatten. Links befand sich das Pult des Staatsanwaltes, rechts das des Verteidigers, hinter dem aber niemand stand. Lennart glaubte nicht, dass der Anwalt verschlafen hatte. Vermutlich war er, um dieses Verfahren zu beschleunigen, noch nicht einmal vorgesehen gewesen. Das war die schlechte Nachricht.
Die gute war, dass auf dem Platz des Vorsitzenden ein Mann saß, den Lennart nicht kannte, obwohl das Schild auf dem Tisch ihn als Direktor dieser Anstalt auswies. Vermutlich hatte man seinen Vorgänger nach Hakons Flucht, bei der Lennart ihm geholfen hatte, suspendiert. Man konnte vom System halten, was man wollte, Ineffizienz gehörte jedenfalls nicht zu seinen Schwächen. Wer einen Fehler machte, wurde sofort zur Rechenschaft gezogen.
Lennart stellte sich in die Mitte des Raumes hinter ein kleines Geländer. Die Handschellen wurden ihm nicht abgenommen.
»Häftling 176671?« Der Direktor setzte seine randlose Brille ab und schaute von seinen Akten auf. »Haben Sie auch einen Namen?«
Lennart verzog keine Miene. Der Vorsitzende seufzte und warf seinen Beisitzern einen vielsagenden Blick zu, den diesemit einem Stirnrunzeln quittierten. Dann schaute er wieder zu Lennart.
»Sie wissen, was man Ihnen zur Last legt?«
»Nein, das weiß ich nicht.«
»Unerlaubter Waffenbesitz und Verschwörung mit dem Ziel eines Umsturzes«, sagte der Staatsanwalt. »Außerdem wurden Sie ohne Ausweis aufgegriffen.«
Lennart schnaubte nur und schüttelte belustigt den Kopf, sagte aber nichts.
»Haben Sie den Vorwürfen sonst noch etwas hinzuzufügen?«, fragte der Vorsitzende kühl.
»Nein.« Lennart konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Das Ganze hier war lächerlich, eine Farce. Das Urteil stand ohnehin schon fest und über die Höhe der Strafe machte er sich keine Illusionen.
Der Vorsitzende hob mit ausdrucksloser Miene das
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