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Morland 02 - Die Blume des Bösen

Titel: Morland 02 - Die Blume des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schwindt
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alles betäubende Ohnmacht zu fallen. Aber sein Körper tat ihm den Gefallen nicht. Er roch den schimmeligen Geruch feuchten Mauerwerks, gemischt mit einer scharfen Note, die typisch war für abgestandenen Urin.
    Noch bevor er die Augen öffnete, wusste Hagen Lennart, dass er sich in einem Gefängnis befand. Die Frage war nur, in welchem.
    Mühsam richtete er sich auf und lehnte sich gegen den gemauerten Sockel der Pritsche. Irgendwo fiel eine Türschwer ins Schloss. Das Geräusch genagelter Stiefel näherte sich und ein Schlüsselbund klirrte. Hagen richtete sich mühsam auf. Wer immer ihn eingesperrt hatte, er wollte ihm aufrecht begegnen. Aber es war die Nachbarzelle, die aufgeschlossen wurde. Zwei Männer unterhielten sich in einem ruhigen, geschäftsmäßigen Tonfall, dann wurde die Tür wieder zugeworfen und verriegelt. Die Schritte entfernten sich. Hagen Lennart sank auf das harte Lager, stützte sich auf die Kante und legte mit angezogenen Schultern stöhnend den Kopf in den Nacken. Noch nie in seinem Leben hatte er sich so leer gefühlt, obwohl jede Faser seines geschundenen Körpers vor Schmerz wie eine straff gespannte Saite vibrierte. Er tastete mit den schmutzigen Fingern seinen Kopf ab und zuckte zusammen, als er eine dick verschorfte Stelle berührte. Irgendetwas hatte ihn dort getroffen, vermutlich der Kolben eines Gewehres.
    Lennart erinnerte sich nicht mehr, was geschehen war, nachdem er in die Razzia der Armee geraten war. Nur das Bild des Mädchens, das ihm so hartnäckig gefolgt war, konnte er nicht vergessen. Sie lebte, während Silvetta tot war und seine beiden Töchter wer weiß wo steckten – in den Händen von Menschen, die alles Menschliche verachteten. Und Tess war eine von ihnen. Oder etwa nicht? Lennart wusste, dass sie ihm nur helfen wollte und dass er sie schäbig behandelt hatte, aber er hatte ihre Gegenwart einfach nicht mehr ertragen. Mit Logik oder gar Vernunft hatte das nichts zu tun, doch das war ihm egal. Lennart hasste sie alle, egal ob Gist oder Eskatay. Gäbe es sie nicht, dann wären Maura und Melina noch bei ihm. Er würde sie trösten können. Er hattein den letzten Tagen, als er auf der Landstraße nach Süden unterwegs war, immer wieder ihre Gesichter gesehen, den verzweifelten Blick in den Augen, die nach ihm ausgestreckten Arme. Aber er hatte ihnen nicht helfen können. Das würde er sich nie verzeihen.
    Er war da gewesen, keine zwei Schritte von ihnen entfernt, und doch hatte er sie im Stich lassen müssen. Genauso wie Hakon Tarkovski ihn im Stich gelassen hatte. Solange ich bei Ihnen bin, wird Ihnen und Ihrer Familie nichts geschehen . Hatte ihm Hakon das nicht geschworen? Doch was war es wert, das Ehrenwort eines verfluchten Gist?
    Immer wieder stellte sich Lennart die Frage, ob Silvetta durch ihren Tod nicht Schlimmeres erspart geblieben war. Egmont hatte versucht, sie auf seine Seite zu ziehen, aber sie hatte die Infektion durch die Blume nicht überlebt. Was wäre gewesen, wenn sie in diesem Kollektiv aufgegangen wäre? Nun, sie wäre zu seinem Feind geworden. Wäre sie nicht gestorben, hätte er sie vor den Augen der Kinder töten müssen. Und das hätte ihm wahrscheinlich nicht nur das Herz gebrochen, sondern ihn in die Arme des Wahnsinns getrieben, dessen bedrohlicher Schatten seit den Ereignissen im Zug nach Morvangar immer dunkler auf ihm lastete.
    Plötzlich wurde der Schlüssel in das Schloss der Zellentür gesteckt und umgedreht. Lennart zuckte zusammen, denn dieses Geräusch hatte sich nicht durch die Schritte genagelter Stiefel angekündigt. Augenblicklich richtete er sich auf.
    Die Tür ging auf und ein Mann von vielleicht dreißig Jahren trat ein. Über seinem Hemd, dessen Ärmel hochgekrempelt waren, trug er eine braune Weste, an der eine Uhrkettebaumelte. Die Hose war aus demselben Stoff und man konnte annehmen, dass die passende Anzugjacke an einem Haken in seinem Büro hing. Unter den Arm hatte er eine Papiertüte geklemmt.
    »Ah, Sie sind wach«, sagte der Mann und machte einen Schritt auf ihn zu. Er zeigte auf die Kopfwunde. »Das sieht übel aus. Vielleicht sollte ich einen Arzt rufen, der sich darum kümmert.«
    »Das ist nicht nötig«, sagte Lennart leise.
    »Wie Sie wünschen.« Der Mann streckte seine Hand aus. »Mein Name ist Grimvold.«
    Lennart ergriff sie nicht, sondern starrte Grimvold nur ausdruckslos an.
    Grimvold zuckte mit den Schultern und trat beiseite. »Ich muss Sie bitten mitzukommen.«
    »Keine Fesseln? Keine Eskorte?«,

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