Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Morland 02 - Die Blume des Bösen

Titel: Morland 02 - Die Blume des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schwindt
Vom Netzwerk:
waren, dass Tess schwindelig wurde. »Aber du solltest nie vergessen, dass alles hier nur eine Illusion ist. Du kannst so viel essen, wie du willst, aber du wirst nie satt werden. Die Kleidung, die du trägst, wirst du nicht in dein reales Leben mit hinübernehmen können. Nur die Menschen, denen du hier begegnest, sind echt. Wenn du das beherzigst, wirst du dich nicht im schönen Schein verlieren, wie so manche, die sich in der realen Welt nicht mehr zurechtfinden. Das Grand Hotel kann eine Droge sein, die sehr schnell abhängig macht.«
    Tess konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, so stark war jetzt der Druck auf ihre Blase. Aber dennoch fiel ihr etwas auf, was ihr kurz zuvor entgangen war: Die Frau hatte sie mit ihrem Namen angesprochen. Und jetzt bemerkte sie auch eine unbestimmte Vertrautheit, so als ob sie und Tess sich schon länger kannten.
    »Wer bist du?«, fragte Tess und ihr Herz begann zu rasen. »Ich kenne dich!«
    Die junge Frau grinste und die blauen Augen leuchteten jetzt wie zwei Saphire. »Natürlich kennst du mich, Tess. Ich bin Nora.«

 
    ***
     
    Hagen Lennart stieg rasant in der Arbeitshierarchie des Gefängnisses auf. Er war schnell und verständig, stellte sich nicht ungeschickt an und fragte nie nach dem Sinn der ihm zugewiesenen Tätigkeit, obwohl er ihren Ablauf, wenn es ihm nötig erschien, eigenständig optimierte. Bereits nach drei Tagen zog man ihn aus der Wäscherei ab und setzte ihn in der Tischlerei ein. Es war eine Beförderung, die Lennart ganz und gar nicht gefiel, da es bedeutete, dass er Pavo nur noch während der Hofzeiten sehen konnte.
    Die Tischlerei war fest in der Hand der Wargebrüder. Kein einziger Todskollen war zu sehen, als Lennart in den Arbeitssaal des Ostflügels gebracht wurde, der wie zum Hohn nach Wald und frischem Harz roch.
    Es waren keine anspruchsvollen Möbel, die hier hergestellt wurden. In der Hauptsache Regale, Tische und Bänke, wie sie auch im Speisesaal standen. Der Wächter nickte den Vorarbeiter heran und übergab ihm den neuen Gefangenen, dann verließ er wortlos die Tischlerei. Man kannte sich und wusste, was man zu erwarten hatte. Lennart mochte die Beamten nicht sonderlich. In ihren Uniformen und den tief ins Gesicht gezogenen Mützen waren sie so gut wie gar nicht voneinander zu unterscheiden. Schon am zweiten Tag hatte er es aufgegeben, den einzelnen Wachen Namen zu geben, um so ein Gefühl für deren Wechseldienst zu bekommen. Offensichtlich blieb keiner von ihnen lange im selben Trakt. Der Grund dafür lag auf der Hand. Man versuchte wohl, jedespersönliche Verhältnis zwischen ihnen und den Gefangenen unmöglich zu machen.
    Im Gegensatz zu den Todskollen waren die Wargebrüder nicht tätowiert. Zumindest nicht da, wo man es sah. Ihr Erkennungsmerkmal waren buschige Koteletten, die bis zu den Mundwinkeln reichten. Der Rang ließ sich an der Zahl der Ohrringe ablesen, die sowohl links als auch rechts getragen wurden. Frisch aufgenommene Novizen trugen auf der linken Seite einen Stecker in der Form eines Wolfskopfes, während der Großmeister auf beiden Seiten einen roten Edelstein trug, was, wie Lennart fand, einem gestandenen Kerl eine leicht weibische Anmutung verlieh. Das würde er Jefim Schestakow, dem Großmeister der Wargebrüder, natürlich nicht sagen. Schestakow und Gornyak, der Anführer der Todskollen, waren absolute Herrscher mit einem Hang zum narzisstischen Größenwahn, die, wie er im Laufe seiner Polizistenlaufbahn erfahren musste, Menschen schon aus geringen Gründen bei lebendigem Leib ausweiden ließen.
    Ein hohlwangiger Kerl, der durch den Backenbart eine erstaunliche Ähnlichkeit mit einem Werwolf hatte und den der Ring im rechten Ohr als Mitglied der unteren Ränge auswies, baute sich vor Lennart mit verschränkten Armen auf.
    »Ausziehen«, sagte er nur. Ohne zu zögern, tat Lennart, was man von ihm verlangte. »Arme hoch und umdrehen.«
    Als sich Lennart von allen Seiten präsentiert hatte, grunzte der Mann nur.
    »Gut. Zieh dich wieder an.« Er klang jetzt ein wenig freundlicher. »Schon mal als Tischler gearbeitet?«
    »Nein«, sagte Lennart und band sich die Hose wieder zu. »Aber du kannst mit einer Säge umgehen.«
    Lennart zuckte mit den Schultern und nickte. Der Mann rollte mit den Augen. »Warum schickt man uns immer solche Verlierer. Da hinten steht ein Besen. Mach sauber.«
    Lennart begann zu fegen und sah, wie der Werwolf sich zu seinen Gefährten begab, um sich über Lennarts offensichtliche

Weitere Kostenlose Bücher