Morland 03 - Das Vermächtnis der Magier
erschrocken.
»Nach Offiziersart«, sagte Egino. »Gewissermaßen im Vorübergehen.«
»Sieht so aus, als wollten die Streitkräfte die letzten Reste ihres Gewissens beseitigen«, sagte Bjarne. »In Zeiten wie diesen ist menschlicher Anstand wohl ein Luxus, den sich keiner mehr leisten möchte.«
Lennart schwieg betroffen. Worte wie diese aus dem Mund eines halbwüchsigen Burschen zu hören, stimmte ihn nicht gerade hoffnungsfroh. Und plötzlich spürte er, was ihm neben dem Verlust seiner Frau und seiner Kinder wie ein Albtraum auf der Brust hockte und ihm den Lebensatem abzuschnüren drohte. Es war die Angst vor der Zukunft.
York sprang mit Mersbeck zum Esplanade , wo sich immer mehr Flüchtlinge eingefunden hatten. Larus Varberg stand mit seiner Flinte vor dem Hotel und hatte den Kopf in den Nacken gelegt. Über ihm zogen die Eskatay wie ein Schwarm Zugvögel Richtung Süden. Varberg spannte den Hahn seiner Schrotflinte und zielte in den Himmel.
»Runter mit der Waffe!«, fuhr ihn Mersbeck an. »Sie sind hier nicht auf der Jagd.«
»Sie glauben gar nicht, wie sehr es mich in den Fingern juckt, einen von denen vom Himmel zu holen«, entgegnete Varberg und ließ das Gewehr sinken. »Haben Sie eine Vorstellung davon, was wir wegen den Eskatay durchgemacht haben?« Er zeigte nach oben.
Durch die großen Fenster betrachtete York die Flüchtlinge, die sich in der Lobby aufhielten. Es waren so viele, dass sich ihre Habseligkeiten aus Platzmangel vor dem Hoteleingang stapelten.
»Auch wenn Sie einen der Eskatay mit Ihrem Gewehr treffen, was, glauben Sie, werden die anderen mit Ihnen anstellen?«, fragte Mersbeck. »Also machen Sie keinen Unsinn und verhalten Sie sich so ruhig wie möglich. Wenn Sie Glück haben, ist der Spuk in zwei Stunden vorbei.«
»Und dann?«, fragte Varberg und lachte bitter. »Soll ich die Flüchtlinge einfach wieder nach Hause schicken?«
»Nein«, sagte Mersbeck. »Die Eskatay werden Morvangar unter keinen Umständen aufgeben. Aber sie werden nur noch so viele ihrer Leute hierlassen, wie sie benötigen, um die Stadt zu halten. Ich schlage vor, dass Sie aufs Land fliehen. Alle größeren Städte in Morland werden über kurz oder lang in der Hand der Eskatay sein. Die Dörfer werden als Letztes fallen.«
»Das sind ja beruhigende Aussichten«, sagte Varberg sarkastisch. In seiner zerknautschten Uniform bot er einen erbärmlichen Anblick.
»Es tut mir leid, dass ich keine besseren Nachrichten für Sie habe«, sagte Mersbeck. »Aber die Lage ist ernst. Sie sind ganz allein auf sich gestellt.«
»Was soll das heißen?«, fragte Varberg erschrocken.
»Das soll heißen: Sie haben das Gewehr. Also sind Sie der Anführer«, sagte Mersbeck.
Varberg trat einen Schritt auf die beiden zu. »Stopp!«, rief York. »Wenn Sie sich nicht infizieren wollen, sollten Sie nicht weitergehen.«
Jetzt erst fiel dem Portier der Sack in Yorks Händen auf. Er wurde bleich und stolperte zurück.
»Wir brauchen eine Kiste«, sagte York.
Ohne den Blick von York zu wenden, ging Varberg zu den Koffern, griff sich einen heraus, leerte ihn aus und warf ihn zu ihm hinüber.
»Danke«, sagte York kühl.
»Und jetzt verschwindet von hier«, sagte Varberg.
York wollte etwas sagen, aber Mersbeck legte die Hand auf seine Schulter. »Ich warne Sie noch einmal. Tauchen Sie unter und verhalten Sie sich still. Ziehen Sie nicht die Aufmerksamkeit der Eskatay auf sich. Dann haben Sie vielleicht Glück und überleben.«
York verstaute den Sack im Koffer und ließ die Verschlüsse zuschnappen. »Ich bin bereit«, sagte er.
»Dann sollten wir springen.« Mersbeck reichte dem Jungen seine Hand.
Noch immer kämpfte York mit sich. Er empfand das Verhalten des Menschen als eine Beleidigung, die er nicht unkommentiert lassen wollte. Mersbeck verstärkte den Druck seiner Hand. »Es hat keinen Sinn«, flüsterte er.
York schloss die Augen und stellte sich die Passagierkabine der Unverwundbar vor. Es gab einen leichten Ruck. Als er die Augen öffnete, waren sie an Bord des Luftschiffes.
»Ich verstehe diesen Varberg nicht«, sagte York aufgebracht, als er den Koffer in eine Ecke stellte. »Wir riskieren unser Leben, damit seines und das der anderen gerettet wird. Und er wünscht uns zum Teufel.«
»Varberg hat Angst. Von einem Tag auf den anderen ist seine Welt zusammengebrochen. Alles, was ihm ein Gefühl von Sicherheit vermittelt hat, wurde von den Eskatay zerstört. Wem soll er trauen? Mir? Oder dir? Er ist der
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