Morpheus #2
sie aus, hielt sich die Hand vor den Mund und drehte sich auf dem Absatz um, fort von dem Grauen, das sich ihr bot, von der Leiche, die mit den eigenen Handschellen ans Lenkrad gekettet war.
«Mein Gott!», keuchte sie, die Hand noch immer vor den Mund gepresst.
«Ich habe Sie gewarnt», sagte Nicholsby.
«Nein, nein», flüsterte sie mit belegter Stimme, mehr zu sich selbst als zu ihm.
In diesem Moment rief eine Stimme von den anderen Streifenwagen herüber. Ein Polizist kam mit einem Zettel in der Hand auf sie zugerannt. «Detective. Wir wissen jetzt, wer er ist. Wir haben endlich den Mann aus der Dienstgarage erreicht, der die Streifenwagen heute Abend ausgegeben hat. War auf Kneipentour. Kleine Verwirrung bei der Ausgabe. Gilroy sollte 8354 bekommen, hatte aber 8534.»
«Und wer hatte 8354?»
Bevor der Uniformierte antwortete konnte, sprach C. J. Sie klang erschöpft, ungläubig, erschüttert.
«Chavez», sagte sie leise. «Ich kenne den Mann.
Es ist Victor Chavez.»
ZEHN
Verzweifelt versuchte sie, Sinn in die Gedanken zu bringen, die ihr durch den Kopf rasten. Sie war nicht darauf vorbereitet gewesen, einen toten Polizisten derartig zugerichtet vorzufinden. Und sie war erst recht nicht darauf vorbereitet, einen toten Polizisten vorzufinden, mit dem sie einmal eng zusammengearbeitet hatte. Einen, der mehr war als irgendein gewöhnlicher Streifenpolizist…
Victor Chavez saß auf dem dunkelrot gefärbten Fahrersitz, sein Kopf war auf das Lenkrad gesackt.
Der Motor lief nicht, und die Leiche brütete in der Hitze vor sich hin. Die Leichenstarre hatte eingesetzt, die Hände in den Handschellen hielten das Lenkrad fest umklammert. Was von seinem Gesicht übrig war, hatte jemand zur Seite gedreht, wahrscheinlich Schrader, der Polizist, der ihn gefunden hatte. Vor Angst weit aufgerissene Augen starrten in Richtung Fenster ins Nichts. Es waren die Augen, die C. J. sofort erkannt hatte. «Die Augen eines Lügners», hatte sie einmal gedacht, matte braune Augen, die so viel mehr verrieten, als er hatte sagen wollen.
Jetzt starrte er sie an, das Grauen der letzten Sekunden seines kurzen Lebens war für immer in diesem Blick fixiert. Es war leicht nachzuvollziehen, warum ihn die anderen nicht erkannt hatten. Seine untere Gesichtshälfte war völlig zerfetzt. Aus dem Funkgerät an seiner Schulter knisterte die Stimme der Zentrale, die in diesem Moment – wie zum Hohn – zusätzliche Einheiten an den Fundort von Victors Leiche schickte.
C. J. hatte den Streifenwagen stehen lassen und den mit Flatterband abgegrenzten Bereich verlassen. Sie setzte sich auf die Haube von Nicholsbys Ford und nippte an der Wasserflasche, die ihr jemand gereicht hatte, in der Hoffnung, die Übelkeit würde davon vergehen. Plötzlich spürte sie eine Hand auf der Schulter. Es war Marlon Dorsett, der ebenfalls zum Morddezernat Miami Beach gehörte.
C. J. hatte bei mehreren Fällen mit Marlon zusammengearbeitet und wusste, dass er einer der Besten war. Er lächelte sie mit blendend weißen Zähnen an.
«C. J.? Der Lieutenant sagte mir, dass Sie Bereitschaft haben. Ich habe mich schon gefragt, wann Sie kommen.»
«Ich?» C. J. lächelte matt. «Ich bin schon eine Ewigkeit hier. Ich war sogar vor der Musik da.» Sie nickte in Richtung des Streifenwagens. Der Gerichtsmediziner war endlich eingetroffen und maß in diesem Moment mit einem leuchtend orangefarbenen Maßband die tiefen Schnitte aus, die in Victor Chavez’ Kehle klafften, während die Männer der Spurensicherung ungeduldig auf ihren Auftritt warteten. Sobald der Gerichtsmediziner fertig war, würden sie sich wie die Geier auf den Wagen stürzen und ihn bis auf das Fahrgestell auseinander pflücken. «Wie geht’s Ihnen, Marlon?»
«Mir? Nicht schlecht. Klasse Frau, anstrengende Kinder, beschissener Job. Amerikanischer Durch-schnitt eben.» Er schüttelte finster den Kopf. «Was für eine perverse Geschichte. Unfassbar, oder? Wie sich der da ausgetobt hat?» Sein Blick fiel auf ihre Wasserflasche. «Sie sehen nicht gut aus, C. J. Ver-kraften Sie das hier?»
«Ja, ja. Es ist nur… ich kannte Chavez. Von einem Fall. Das hat mich wohl einfach kalt erwischt.»
Marlon nickte und sah sich um. «Für jeden von uns ist es ein Schock. Wie geht’s Dom? Ist er auch hier?»
Doch bevor C. J. antworten konnte, hatte Nicholsby das hitzige Streitgespräch beendet, das er über sein Nextel geführt hatte, eine Art Funkgerät, das gleichzeitig Mobiltelefon und Walkie-Talkie
Weitere Kostenlose Bücher