Morpheus #2
Aufschrift SOUTH FLORIDA IMPACT
– VERTRAULICH über den Tisch.
IMPACT war eine Task-Force mit Mitgliedern aus verschiedenen Abteilungen, die seit zehn Jahren von einem geheimen Standort in Miami aus agierte und sich ausschließlich um Geldwäsche im großen Stil und Drogenschmuggel im Süden Floridas küm-merte. Auch das FDLE gehörte zu IMPACT, womit durch ein juristisches Abkommen die landesweite Zuständigkeit des FDLE innerhalb der laufenden Ermittlung auf alle Mitglieder der Task-Force übertragen wurde.
Dominick ließ den Blick über den Tisch schweifen. «Gentlemen, dann fangt mal mit der Lektüre an.»
NEUNUNDZWANZIG
«Im Moment kann ich es einfach nicht schaffen, Jerry», sagte C. J. und sah zu, wie Jerry Tigler tiefer in seinem weinroten Ledersessel versank. «Ich bin völlig ausgebucht, und der Morpheus-Fall würde einfach zu viel Zeit beanspruchen.» Sie hatte die Rede hundertmal im Kopf geprobt und war sich sicher, dass sie alle Einwände, die der Oberstaatsanwalt mit Gewissheit vorbringen würde, würde parieren können.
«Aber das können wir doch regeln, C. J. Wir nehmen Ihnen ein paar Fälle ab. Warum überlassen Sie Frison nicht Bernie? Der hat anscheinend nichts zu tun. Den habe ich in letzter Zeit ständig um halb fünf nach Hause gehen sehen.»
«Jerry, Frison ist ein dreifacher Mörder und sein Prozess steht in vier Wochen an. Ich kann ihn nicht einfach jemand anderem überlassen.» Vor allem nicht Bernard Yanni, einem Kollegen von der Major Crimes Unit, der nicht erst in letzter Zeit pünktlich um halb fünf alles stehen und liegen ließ. Tigler fiel so etwas in der Regel nicht auf, aber anscheinend hatte ihm jemand eine Uhr in die Hand gedrückt und gesagt, er solle um 16.30 Uhr aus dem Fenster schauen, wenn Bernies dunkelroter Honda Accord im Wettrennen mit den Sekretärinnen in den Son-nenuntergang brauste.
«C. J. hier ist Ihre Erfahrung gefragt. Ich werde Ihnen Andy Maus zur Seite stellen, aber ich will, dass Sie dabei sind. Teilen Sie sich die Zeit untereinander auf. Ich sehe zu, dass Guillermo Sie eine Weile mit neuen Fällen verschont.»
«Jerry, Sie haben noch nie ein Nein von mir gehört, aber diesmal muss ich ablehnen.» Ihre Stimme klang hart und gereizt in ihren Ohren. Auch daran hatte sie gedacht: dass ihr Ungehorsam Konsequenzen haben könnte. Das musste sie in Kauf nehmen. Sie konnte nicht mehr an diesem Fall arbeiten und darauf warten, bis das Telefon klingelte, um sie von der nächsten Metzelei zu unterrichten.
Zwar hatte die Task-Force eine Verbindung zwischen Roberto Valle, den Drogenkartellen und den korrupten Polizisten hergestellt, doch die Paranoike-rin in ihr wollte einfach nicht an einem Tatort mit der bangen Frage aufkreuzen müssen, ob sich hinter der verstümmelten Fratze ein Gesicht verbarg, das sie womöglich nur zu gut kannte. Das Gesicht von Lou Ribero zum Beispiel.
Von der unteren Etage, wo die Weihnachtsfeier stattfand, drang gedämpfte Musik herauf, ansonsten war es bedrückend still in dem Gebäude. Es war Tigler, der zuerst den Blick abwandte. Er sackte in seinem Sessel zusammen.
«Na gut», seufzte er. «Ich weiß, dass Sie viel mitgemacht haben, C. J. und ich verstehe, dass Sie vielleicht ein Problem damit haben, noch einen Serienmörder vor Gericht zu bringen…»
Ein billiger Trick. Sie unterdrückte die Angriffs-lust, die trotzig in ihr aufwallte, und rutschte kerzen-gerade an die Stuhlkante.
Er fuhr fort. «Aber Sie sind die Beste. Sie sind meine beste Anklägerin, und ich schätze, ich muss Ihre Entscheidung, wie Sie Ihre Zeit einteilen, akzeptieren. Aber wenn Andy Hilfe braucht, werden Sie für ihn da sein. Er verrennt sich manchmal. Und ich will nicht, dass er die Jungs von der Task-Force in eine Sackgasse führt, nur weil irgendein Verdächtiger gerade in seine Schablone passt. Die Öffentlichkeit wird langsam unruhig, weil es noch keine Festnahmen gegeben hat, und ich darf den Leuten nicht einfach einen Knochen hinwerfen. Unsere Behörde kann sich dieses Jahr keinen Fehler leisten.»
Natürlich nicht. Tigler hatte seine Wiederwahl mit nur sechshundert Stimmen gewonnen. Und es gab jede Menge anderer Leute – sogar in den eigenen Reihen –, die sich fürs Jahr 2004 Chancen aus-rechneten.
«Danke für Ihr Verständnis, Jerry. Emotional geht es mir gut», sagte sie kühl. «Nur zeitlich sind mir die Hände gebunden. Wenn Andy Hilfe braucht, weiß er, dass er sich an mich wenden kann.» Die Wahr-scheinlichkeit war gering – Andys
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