Morpheus #2
Ego war viel zu aufgeblasen, als dass er den Weg in ihr Büro fand und sie um Hilfe bat.
«Also gut, C. J. Dann kann ich Ihnen wohl nur noch frohe Weihnachten wünschen. Sind Sie auch unten bei der Feier?»
«Ich schau mal rein. Bevor sie alle auf den Tischen tanzen.»
«Dann sehen wir uns noch.»
Sie verließ sein Büro und ging die Treppe hinunter in den ersten Stock. Die Erleichterung, den Fall los zu sein, war nicht so groß, wie sie gehofft hatte.
Die Feiernden belagerten inzwischen auch den Gang, und bis halb fünf hätten sie wahrscheinlich das ganze Gebäude eingenommen. Tabletts mit Cocktailwürstchen und Plätzchen würden dann von der Rechtsabteilung im vierten Stock bis ins Archiv im Erdgeschoss wandern und die Eingeweihten sich in den Büros versammeln, wo es in der Schublade einen Schuss Hochprozentiges für den Weih-nachtspunsch gab.
C. J. entdeckte Marisol neben einem Aktenwagen, der zum Dessert-Buffet umfunktioniert worden war und die Tür ihres Büros blockierte. Sie trug von Kopf bis Fuß pinkfarbenes Stretch-Denim. Mit der Nikolausmütze auf dem Kopf und dem blinkenden Weihnachtsbaum-Anstecker zwischen den Brüsten war sie kaum zu übersehen.
«Frohe Weihnachten, Marisol», sagte C. J. als sie an die Tür kam. Marisols Blick fiel auf den Ak-tenstapel, den C. J. auf den Armen balancierte, und sie machte ein entgeistertes Gesicht.
«Keine Sorge. Die sind nicht für Sie», beruhigte sie C. J. «Im Gegenteil. Wir werden sie gerade los.
Andy Maus übernimmt Morpheus, er wird die Task-Force unterstützen. Das hier fällt dann in Alyssas Ressort.»
«Puh», machte Marisol, ihre Miene wurde wieder rund und weich.
«Na dann, schöne Feiertage. Ich habe Ihnen etwas hingelegt -»
«Ja. Ich habe es bekommen. Danke», brachte Marisol widerwillig heraus. Sie schnalzte mit der Zunge, dann sagte sie schließlich mit einem ge-zwungenen Lächeln: «Ich habe auch etwas für Sie.
Es steht auf Ihrem Schreibtisch.»
Hoffentlich keine Rohrbombe, dachte C. J. Der Haussegen hing schief, seit Marisol vor ein paar Wochen Ärger mit dem Abteilungsleiter bekommen hatte, weil sie auf dem Stundenzettel geschummelt hatte. Marisol hatte sofort C. J. im Verdacht gehabt, sie angeschwärzt zu haben, aber das stimmte nicht.
«Danke. Und viel Spaß bei der Noche Buena, wenn ich Sie nicht mehr sehe.» C. J. schob das Dessert-Buffet zur Seite. Noche Buena war Heilig-abend, und für die meisten Kubaner bedeutete das Party und Tanzen bis um zwei Uhr morgens.
«Ja, ja, frohe Weihnachten», sagte Marisol, dann nahmen ihre rosa Hüften den Rhythmus der Musik wieder auf. Sie tunkte einen langen, glitzernden Fingernagel in ihren Drink und rührte um, bevor sie trank. Als C. J. gerade in ihrem Büro verschwinden wollte, rief sie beiläufig hinter C. J. her: «Wissen Sie, ob Manny Alvarez heute Abend zur Party der Verteidiger geht?»
Nach der relativ gesitteten Weihnachtsfeier im Gebäude der Staatsanwaltschaft fand die weitaus wildere Party in der Behörde der Pflichtverteidigung statt, eine Veranstaltung, die in der Vergangenheit immer wieder für Karriereknicks und Ehescheidun-gen verantwortlich gemacht worden war. Die meisten Gäste – Polizeibeamte, Verteidiger und mehr als nur ein paar Richter und Staatsanwälte – würden sich bis zum Morgengrauen kaum mehr an den eigenen Namen erinnern. Oder erinnern wollen. Für ein paar Stunden war der schlimmste Feind vor Gericht der beste Kumpel.
C. J. zuckte die Achseln, obwohl sie die Antwort kannte. Manny gehörte seit Jahren auf der Party der Verteidiger zum Inventar. Das Fest hatte einst zum Ende von Ehe numero uno geführt.
«Naja, vielleicht treffe ich ihn dort», sagte Marisol nachdenklich.
C. J. nickte und zog die Tür hinter sich zu. Sie würde Manny anrufen und vorwarnen. Nicht, dass er sich abschrecken ließe. Problemfrauen zogen ihn anscheinend magisch an.
Sie schaltete das Licht an und verstaute die Morpheus-Akten in einem Pappkarton. Dann schloss sie den Deckel, klebte ihn mit Paketband zu und schrieb «Andy Maus» darauf. Den Karton stellte sie möglichst weit weg von ihrem Schreibtisch auf den Boden.
Ein für Dezember typischer Kälteeinbruch hatte die Temperatur von angenehmen dreiundzwanzig auf klamme elf Grad fallen lassen, nachts kühlte es sogar auf unter zehn Grad ab. Heute Abend würde man in den Nachrichten Bilder von Orangenhainen und Blumenbeeten zeigen, die für die frostigen Nächte eingepackt wurden. Die Aussicht auf Miss-ernten und verlorene Jobs
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