Morpheus #2
Götter einen bösen Streich. Das Tonband war nicht angekommen. Zuerst hatte ihn das nicht weiter beunruhigt, denn Lourdes war die ganze Zeit sehr zurückhaltend, sehr geheimnistue-risch gewesen. Neil nahm an, dass sie es sich anders überlegt hatte und es persönlich mitbringen wollte. Immerhin hatte sie ihm den exakten Wortlaut mitgeteilt, und bis zum Gerichtstermin spielte die Aufnahme selbst keine große Rolle. Doch der Gerichtstermin war heute.
Nach dem Huff-Hearing hatte er sie angerufen und eine Nachricht mit dem Datum der Beweisaufnahme hinterlassen. Sie hatte nicht zurückgerufen.
Als er ein zweites Mal anrief, bekam er nicht den Anrufbeantworter, sondern die Ansage: «Kein Anschluss unter dieser Nummer.» In diesem Moment bekam es Neil mit der Angst zu tun. Am Mittwoch verlor er dann die Geduld und engagierte einen Privatdetektiv, der ihm am Samstag die Neuigkeiten überbrachte. Den Rest des Wochenendes brütete Neil über der Frage, ob der Fall, der Fall seines Le-
bens, noch zu retten wäre.
«Also schön, alle sind da und Zeit ist Geld», sagte Richter Chaskel und lehnte sich in seinem Ledersessel zurück. Der Saal war um einiges imposanter als die Kabuffs, in denen er sonst Gericht hielt. «Mr.
Mann, das ist Ihre Show. Rufen Sie bitte Ihre erste Zeugin auf.»
Widerstrebend erhob sich Neil Mann, seine Hände hinterließen feuchte Abdrücke auf dem Tisch.
«Es gibt da ein Problem, Richter. Dürfte ich kurz zu Ihnen nach vorne kommen?»
Richter Chaskel setzte sich steif auf. «Sind Ihre Zeugen hier, Mr. Mann? Ich habe Ihnen und Ms.
Townsend letzte Woche deutlich gesagt, dass ich keine Lust auf Spielchen habe. Wir haben den Angeklagten hier, und wir haben dafür Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt…»
«Das Problem hat mit einer Zeugin zu tun, Euer Ehren.» Neils Lippe zitterte, und das war kein gutes Zeichen. «Ich habe erst am Wochenende davon erfahren, und ich weiß nicht, wie ich weiter verfahren soll. Ich würde gern zu Ihnen nach vorn -»
«Was ist los, Mr. Mann?», knurrte Chaskel.
«Es geht um Lourdes Rubio, Euer Ehren. Am Wochenende habe ich einen Anruf bekommen…»
«Lassen Sie mich raten. Sie hat ihre Meinung geändert und kommt nicht.»
«Herr Richter, sie ist ermordet worden.»
Blitzlichter explodierten, Reporter rannten nach draußen, um ihre Redakteure anzurufen, und wieder einmal war die Hölle los.
DREIUNDSECHZIG
«Ins Richterzimmer», rief der Richter, ohne lange zu überlegen. «Sofort.» Die Journalisten, die im Saal geblieben waren, protestierten, doch der Richter hatte andere Sorgen. Er stürmte von der Richterbank, gefolgt von einem verzweifelten Neil Mann, dem Gerichtsdiener und der Protokollschreiberin, die mit ihrem Zubehör jonglierte. Zwei Vollzugsbeamte rückten näher an Bantling heran.
«Das ist doch nicht zu fassen. Ermordet?», flüsterte Rose und schüttelte entsetzt den Kopf. «Gehen wir, C. J.», sie griff nach der Akte. «Mit dem Richter ist heute nicht zu spaßen. Finden wir raus, was passiert ist.»
Doch C. J. konnte sich nicht rühren. Sie sah auf die Akte, die vor ihr lag. Sie hatte das Gefühl, sie würde sich übergeben müssen, wenn sie aufstand.
Sie kniff die Augen zusammen und sah Lourdes vor sich, wie sie hinter ihrem Schreibtisch saß, in ihrer Kanzlei in diesem gottverlassenen Nest im Südwes-ten. Wie verächtlich Lourdes reagiert hatte, als C. J.
sie um vertrauliche Informationen gebeten hatte.
Informationen, mit denen C. J. womöglich die Identität eines weiteren Psychopathen hätte ermitteln können. Doch Lourdes hatte sich geweigert.
Ermordet? Nicht einfach gestorben. Kein Autoun-fall, keine langjährige Krankheit, kein verdammtes Blutgerinnsel. Mord. Wann? Wo? Hatte der Mord mit ihr zu tun? Mit dem Fall? Und bildete es sich C.
J. nur ein, dass alle Augen hier im Saal auf sie gerichtet waren? Sah sie schuldig aus? Sie hatte dem Gericht nichts von dem Treffen mit Lourdes vor mehr als zwei Wochen erzählt, denn dazu war sie rechtlich nicht verpflichte . Außerdem hatte sie angenommen, Lourdes würde diesen Versuch heute selbst ansprechen. Was sollte sie denn jetzt tun –
«Neil ist anscheinend nicht auf die Idee gekommen, seinen Mandanten vorzuwarnen, bevor er die Bombe hat platzen lassen», flüsterte Rose mit einem Blick zum Tisch der Verteidigung. «Sieht aus, als hätte es ihm den Atem verschlagen. Gut so», schnaubte sie.
Bantling starrte auf die leere Richterbank, er öffnete und ballte die Fäuste, als versuchte er
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