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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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von meinem Blick, dabei war ich leise. Sie hat jetzt Helas Nachthemd an, wickelt sich in Helas Schlafrock, geht zu Helas Fenster, draußen Warschau, schwarz.
    «Bring mich irgendwohin», sagt sie, den Blick in die Schwärze gerichtet.
    «Wohin?», frage ich aufrichtig.
    Iga dreht sich zu mir, ihre Augen lodern.
    «Ich weiß nicht. Irgendwohin, wo es Alkohol und Musik gibt. Bring mich heute dorthin, diese Nacht, morgen früh gehe ich und kümmere mich um Jacek. Ich werde ihm eine gute Ehefrau sein.»
    Nicht wahr, Kostek, jetzt kriegst du’s mit der Angst? Du hast Angst. Du begehrst sie und hast Angst. Wie könntest du sie nicht begehren, schließlich begehrst du alle Frauen auf der Welt, Kostek, dummer Hurenbock. Damit sie dir beweisen, dass du ein Mann bist. Und mit Iga verbindet dich auch noch diese Geschichte, die dein Begehren verstärkt, fast unwiderstehlich macht …
    Die schwarzen Säulen eurer Körper, Säulen aus der dunklen Substanz unter der Haut der Geschichte, verbunden, vereinigt.
    Jetzt steht ihr euch gegenüber, frühere Geliebte, in der leeren Wohnung, draußen sind die Deutschen, zwischen euch ist nichts außer der Frage, was nun weiter zwischen euch passiert.
    Sollte ich sie nicht einfach zu Jacek bringen, dort gehört sie schließlich hin. Aber Jacek macht das nichts aus, er wird bis morgen durchhalten, und sie hat es doch verdient nach drei Wochen Arrest.
    «Ich rufe ihn an», sage ich.
    Ich gehe ins Arbeitszimmer zum Telefon. Nach einer längeren Weile hebt er ab.
    «Jacek, hier Kostek. Iga ist frei.»
    «Mhm.»
    «Ich kümmere mich um sie, alles in Ordnung, sie ist nur sehr erschöpft. Aber alles wird gut, morgen kommt sie nach Hause. Gut?»
    «Ja.»
    Ich kehre ins Wohnzimmer zurück, Iga halbnackt, in Unterwäsche, sie streift die seidene Strumpfhose aufs Bein, auf dem Bett das geöffnete Köfferchen, Iga knöpft die Strumpfhose an, ich erinnere mich an ihren Körper, kann den Blick nicht losreißen, da guckt Iga über die Schulter zu mir. Ich schrecke zurück.
    «Entschuldige …»
    «Nichts, was du nicht schon gesehen hast.»
    Kurz darauf kommt sie heraus, angezogen, sie trägt ein grünes Kleid. Kein Abendkleid, wenngleich elegant, knielang, eng in der Taille, die Ärmel ein bisschen gepufft, so etwas trug man im Vorkriegssommer.
    «Er hat sich gefreut, sehr», sage ich.
    Sie glaubt mir nicht.
    Natürlich glaubt sie dir nicht, Kostek, sie ist doch nicht blöd, sie kennt ihn in diesem Zustand, nichts kann ihn dann freuen und im Grunde auch wenig betrüben, der Abgrund der Verzweiflung ist schließlich nicht die Trübsal, sondern absolute Teilnahmslosigkeit.
    Du kennst diese schwarzen Tiefen. Du bist anders hineingefallen, nicht wie dein Freund, aber du weißt doch, wie das ist, wenn Schwärze auf deine Augäpfel drückt, unter die Lider und ins Gehirn kriecht, ins Innere, und dich ohnmächtig macht wie eine absolute Droge, wie konzentriertes Morphin.
    Diese Finsternis war es doch, vor der du dich mit den Fläschchen gerettet hast.
    «Lass uns irgendwohin gehen», sagt Iga.
    «Mädchen, es ist Krieg …», erwiderst du und scheinst zu vergessen, dass sich Iga nicht als Mädchen anreden lässt. «Ich bin eine Frau», sagte sie, als ihr miteinander schlieft. Sie lächelte blass.
    «Bitte, Kostek. Denk dir was aus. Ich will trinken und tanzen.»
    Ich weiß, was ich tun kann. Ich gehe mit ihr bei Salomé vorbei, brauche gar nicht in diese schmuddelige Wohnung hochzusteigen, nur meine süße kleine Hure fragen, wo man jetzt in der Hauptstadt noch trinken und tanzen kann. Salomé wird das wissen, sie weiß solche Sachen immer.
    Vielleicht gibt es schon irgendeinen Ort, wo man als Deutscher mit einer Frau hingehen und sich amüsieren kann. Schließlich sind es mehr als drei Wochen seit der Kapitulation. Schließlich muss ein deutscher Offizier, ein siegreicher deutscher Offizier irgendwo seinen Schnaps oder Wein trinken können, sich ein Mädel anlachen, sie begrapschen, mit ihr tanzen und sie vögeln können. Dafür hat er ja gesiegt, dafür kämpft ein Soldat im Grunde, wenn er zum Angriff geht; denn wenn er sich verteidigt, kämpft er für etwas anderes.
    Aber ich habe Angst, zu Salomé zu gehen, weil dort mein Fläschchen wartet. Voller Farben. Und ich sehne mich immer mehr nach ihm. Selbst wenn meine süße, weiße Hure es schon aufgebraucht hat, sie wird bestimmt ein anderes holen, ich habe doch Geld, Jaceks Geld, mein eigenes, könnte es kaufen.
    Das kreist über mir, geistert hinter mir,

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