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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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bei mir, gehe mit raschem Schritt. Ich gehe. Ja.
    Als ich die Treppe zur Wohnung der Łubieńska hochsteige, habe ich keine Ahnung, was ich dem Ingenieur zu dem fehlenden Geld sagen soll.
    Macht nichts, Kostek, macht nichts, schließlich wusste ich es, ich weiß, was du sagen wirst, und dieses Wissen dringt durch die dünne Membran zwischen uns. Keine Sorge, mein Lieber.
    Du betrittst also die Wohnung der Łubieńska und begegnest zum ersten Mal der Łubieńska selbst, und das Einzige, was dein männlicher Geist wahrzunehmen vermag, ist ihre Unweiblichkeit, schließlich ist sie fünfundfünfzig, für dich also keine Frau mehr, so siehst du sie.
    Wenn du wüsstest, wie alt ich bin! Aber das weißt du nicht.
    Und in achtzehn Jahren wird die Łubieńska wirklich alt sein, dreiundsiebzig, mit einem ordentlichen Stück Geschichte auf den Schultern, ein Großteil dieser Geschichte wird auch deine sein, doch das Alter bewahrt sie nicht vor einem schrecklichen Tod: Zwölf Messerstöße in den alten, welken Leib. Und ein Mann wird auf Polnisch flüstern: «Verreck, altes Dreckstück!», er wird ein Stilett von Fairbarn-Sykes in die Łubieńska rammen, ein Stilett, zweischneidig wie die Zunge Christi, ein sehr schönes Stilett, und dann lockert der Mann seinen Druck, und der alte Leib der Łubieńska, ein Leib vom Wappen Pomian, durchlöchert und totes Blut verlierend, wird auf die englische Erde fallen und wird in ihr begraben und von englischen Würmern gefressen werden.
    Ich denke an den durchlöcherten Leib der Łubieńska, wie die Erde sie bedeckt, in der Pikten, Kelten, Angeln, Sachsen, Normannen und Tausende anderer Stämme und Völker, die sich im englischen Boden aufgelöst haben, zirkulieren, und mit ihnen zirkuliert Teresa Łubieńska mit dem von einem Schwert durchstoßenen Stierkopf im Wappen, kreist in Flüssen, ergießt sich in Quellen, verdampft zu den Wolken, kondensiert zu Regen und kehrt zurück zur Erde. Sie kreist, wie ihr alle kreisen werdet.
    Jetzt aber reicht sie dir elegant die Hand. «Es ist Krieg, gestatten Sie, dass ich mich selbst vorstelle, Teresa Łubieńska mein Name, Leutnant Łubieńska.»
    «Konstanty Willemann, ebenfalls Leutnant, Neuntes Ulanenregiment, obwohl, wie das mit den Rängen in der Organisation ist, weiß ich nicht, also welchen Rang ich jetzt habe …»
    Darauf stürzt Witkowski herein, fasst sich an den Kopf, «was denn, was denn», schreit er, «meine Lieben, das ist hier Konspiration, und ihr stellt euch vor wie beim Botschafterball, so geht das nicht, wenn so etwas auffliegt, nur die Decknamen! Das ist Siebenundfünfzig, und die Dame – Zwölf.»
    «Richtig wohl Sechsundfünfzig …», sagst du unsicher, und der Ingenieur sieht dich an wie einen Idioten.
    Die Łubieńska lächelt, wie nur eine Aristokratin lächeln kann, legt in dieses Lächeln Herzlichkeit, wohlwollenden Spott und eine deutliche Spur Verachtung für das Geschwätz von Konspiration, ja wenn man sich nicht mal vorstellen darf, wozu dann so eine Konspiration?
    Später wird sich das alles ändern, Kostek, wenn die ersten echten Leichen, das heißt nahestehenden Leichen anfallen, doch bislang glaubt niemand daran, an keine Leichen, deshalb die Geringschätzung.
    «Gelungen?», fragt Witkowski.
    «Ja.»
    Ich reiche ihm die Aktentasche.
    «Ich habe dreitausend Dollar herausgenommen.»
    Oh, was für eine Stille eintritt, wie unglaublich still es wird, wie die Züge der Łubieńska gefrieren, wie Witkowski sich wundert, nach einem Scherz suchte, und als ich die Erklärung schuldig bleibe, am Ende fragt: «Wie das?»
    «Ich musste Iga Rostańska aus dem deutschen Gefängnis holen, ich hab dir von ihr erzählt.»
    Mit Absicht in der zweiten Person, wenn wir uns duzen sollen, dann bitte sehr, das wird meinem Argument Nachdruck verleihen.
    Witkowski zucken die Muskeln an der Kinnlade, er ringt nach Worten, die Łubieńska findet sie.
    Sie spürt die warme Klinge noch nicht, die ihren Leib durchdringen wird, eine Klinge, warm vom männlichen Körper des Mörders, denn er trägt sie unter der Jacke, die Wärme ist die Wärme seines schon gereiften, aber noch jungen Körpers, fest und geschmeidig wie Hartgummi. Der, der sie in achtzehn Jahren tragen wird, eilt jetzt gerade durch die französische Provinz nach Lyon, wo die polnischen Flieger sich sammeln, eilt nach Lyon und nährt sich von menschlichem Mitgefühl, im Leib eines Halbwüchsigen, zart und noch unsicher der eigenen Kraft. Aber der Leib wird wachsen, er wird

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