Morphin
Unterarm hängt die goldkörbige Spritze, traurig wie das gebrochene Bein eines hinkenden Hundes.
Doch ich höre nicht mehr zu, merke nicht einmal, dass Salomé noch nicht fertig damit war, das geliebte Glück in meine ermüdeten Adern voll unreinen Blutes zu spritzen.
Denn in der Loge gegenüber hat es sich eine sehr deutsche Gesellschaft gemütlich gemacht, zwei uniformierte Offiziere, Hosen steingrau, Jacken feldgrau, dunkelgrüne Krägen, frische Bänder der eisernen Orden an den Knöpfen. Dazu drei absolut polnische, aufgedonnerte Nutten, die Titten aus dem Dekolleté quellend. Und zwei Männer in Zivil, dunklen Anzügen, die von den Offizieren, bei Uniformierten unerhört, mit jener ausgesuchten, ungezwungenen Hochachtung behandelt werden, mit der, sagen wir, ein weltgewandter Major mit dem zivilen Beamten des Kriegsministeriums sprechen würde, wenn der mindestens Staatssekretär ist und dazu noch gedient hat.
Nicht das aber erregt meine Aufmerksamkeit. Ich stehe auf und nähere mich den Deutschen. Sie trinken Wodka, ich bin noch betört von Champagner und Kokain, fühle aber keine Spur der Euphorie mehr, die mich eben noch erschütterte.
Als ich mich dem Tisch nähere, verstummt die deutsche Gruppe, nicht feindselig, aber doch erstaunt über mein wortloses Herantreten und meinen Blick, der zumindest ein wenig verrückt wirken muss.
Dann bemerken sie, was ich da so intensiv anstarre, und ihre Verwunderung geht schlagartig in offene, wütende Feindseligkeit über.
«Das ist das Antlitz eines Kriegshelden, du Mistkerl! Verpiss dich!», bellt der Offizier und erhebt sich, schon leicht betrunken. Er richtet sich auf, um mich Mores zu leeren.
Was starre ich da so an?
Das Gesicht der Lüge starrst du an, dein unwahrhaftiges Leben, die Leere in deinem Leben, die du insgeheim spüren musst wie ein schlecht Polnisch sprechender Junge. Du starrst den Namen an, den du nicht trägst.
Das Gesicht des Mannes im dunklen Anzug mit Weste starrst du an, das Gesicht eines Mannes, der im hintersten Winkel der Loge sitzt, eines Mannes, der keine polnische Nutte abbekommen hat, wohl auch, weil er an Nutten gar nicht interessiert war.
Ein schreckliches Gesicht. Oben auf der linken Wange beginnt eine Narbe, wächst nach unten, zu den Mundwinkeln, frisst ein großes Stück der Nase weg, von der nur das rechte Nasenloch und eine umgelegte Falte dessen, was einst der Rest der Nase war, geblieben sind. Weiter unten frisst die Narbe auch viel Gesicht weg, und dort, wo einmal ein Mundwinkel war, klafft jetzt ein nacktes, zahnloses Stück Zahnfleisch. Noch weiter unten gräbt sich die Narbe in einer furchtbaren Knochenschlucht zum Kiefer, dessen klare, kräftige Linie sie kreuzt.
Ein schreckliches Gesicht. Ein Gesicht, das du kennst.
Das Gesicht deines Vaters.
Der Major holt aus und schlägt mich auf die Wange, mit dem Handrücken, so hart, dass mein Kopf zur Schulter schleudert.
Baldur Strachwitz sieht dich an mit seinen hellblauen Augen, von denen das eine, das linke hinter der Goldfassung des Monokels, sich in dich hineinbohrt.
«Vati», flüsterst du.
Da springt er plötzlich auf, begreift, Narbe und Restgesicht verzerren sich zu einer schrecklichen Grimasse, er stürzt zu dir, stößt Nutten und Offiziere und Gefährten im Anzug zur Seite, stößt die Schnapsflasche vom Glastisch, trampelt über Sofas und Knie, zerreißt Strumpfhosen und beschmutzt die Hosen in Feldgrau.
Er stürzt zu dir, und du ertrinkst in seiner Umarmung, er umarmt dich mit großer Kraft, du umarmst ihn, dein Gesicht an seiner gesunden Wange. Die Spritze gleitet aus deiner Ader und fällt zu Boden, bohrt sich mit der Goldnadel ins Parkett wie ein perverser Speer, das Morphin fließt bereits in deinen Adern. Der Vater umarmt dich, als wärest du der einzige Mensch auf der Welt.
«Mein Söhnchen, mein geliebtes, verschollenes Söhnchen», schluchzt er, die Worte fallen lädiert aus dem entstellten Mund.
Und du sinkst in seine Arme, sinkst in die Dunkelheit.
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Teil zwei
Kapitel acht
D u würdest dich, euch gern mit seinen Augen sehen. Aber das kannst du nicht, Kostek. Viel habt ihr gemeinsam, doch das ist immer noch zu wenig.
Du bist Soldat, das ist schon etwas. Du warst. Oder bist du es weiterhin?
Aber wie ganz anders war dein Kämpfen, Kostek. Dein Offiziersein. Grudziądz, Trembowla, Ulanen.
Obwohl er, der Mann mit dem vom Krieg gefressenen Gesicht, auch Ulan war – aber das ist nur ein Wort, nicht mehr. Dein
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