Morphin
Zigarettenschachtel, also das Streichholz in zitternden Händen, also rauche ich, wozu rauche ich, ich weiß es nicht.
Was will ich tun?
Da kommen sie schon, zwei Gendarmen, gelangweilt vom Dienst, knöpfen die Gürtel ihrer großen Mäntel fest, das Gewehr über der Schulter, und woran denken sie, Kostek, hat das eine Bedeutung? Ist es wichtig, ob sie an ihre Frauen und Kinder zu Hause denken, wo immer das sei, in Hessen, Bayern oder in Hamburg, ob sie an die heutige Mahlzeit denken, ob sie schlecht von ihren Vorgesetzten denken oder eher gut, ob sie an die Mühen des Dienstes denken oder daran, dass der linke Stiefel an der Wade drückt. Ich weiß das alles, ich berühre sie mit Tausenden meiner Finger, eine unfühlbare Liebkosung, und habe ihr Innerstes wie auf dem Handteller, doch hat es eine Bedeutung, woran diese zwei Gendarmen in großen, grauen Mänteln denken?
Natürlich hat es, im Chaos des Lebens hat alles eine Bedeutung, alles zählt, aus allem setzt sich der Kosmos dieses Chaos zusammen, alles ist wichtig, der Flug des Spatzen und die Bahn der Bombe, der Tod eines Flohs und deiner, Kostek, den ich auch wie auf dem Handteller sehe, und deine Angst und die Angst des Pferdes und die Erschöpfung und die Sehnsucht jener, die vom Schrei der Adlerin gerufen jetzt zu dir kommen, die sich ein bisschen deinem Befehl unterstellen, weil ihnen halt so geheißen war, und das alles ist das Muster eines großen Teppichs, in den du eingewebt bist und ich auch, Kostek.
«Also was tun wir?», fragt der ältere, höherrangige Gendarm auf Deutsch.
Da stehen sie, die Gewehre über den Schultern, Patronentaschen am Gürtel, alles zu deiner Verfügung, schwarze Mauser und goldene Patronen. Tu damit, was du willst, Kostek, ist alles deins, hat dir alles deine Mutter gegeben.
«Folgt mir», sagst du. Hast du gesagt.
Du drehst dich um, und los geht’s! Du gehst voran, über den säuberlich bombardierten Theaterplatz und die Senatorska, schreitest mit schmerzreißendem Unterkiefer und in verdreckter Kleidung, und dir nach die Gendarmen mit geschulterten Gewehren, wenn dich jetzt jemand sieht, Kostek!
Doch dich sieht niemand, alle, deren Blicke Gewicht hätten, haben sich zurückgezogen in ihre Oktoberwohnungen, versammelt um die eilig aufgestellten Öfen, wärmen die besiegten Hände und vergessen allmählich den Krieg, vergessen die Deutschen, denken ans Leben: ans Essen und daran, wo man welches herkriegt, an Geld und daran, woher nehmen, oder – andere – wie es mit Verstand ausgeben, an Geschäfte, mit Polen, mit Deutschen, mit Juden, und an die Juden denken sie, die es jetzt bestimmt schwer haben, auch die Juden denken daran, wie schwer sie es haben werden, aber sie denken auch an Frauen, an Hüften und Brüste, daran, dass man sich vor der Kälte der Wohnung und der bösen Welt am besten ins Federbett verkriecht, und die Frauen denken an Männerhände, die jetzt über das erhitzte Ofenblech streichen und doch ihre Körper streicheln könnten, harte, kräftige Hände, und die Straßen sind leer, und so geht ihr, Kostek, du verdreckt und verprügelt und wütend und mit den müden Gendarmen, die überhaupt keine Gendarmen sind, aber wie sollst du sie nennen, da sie militärische Uniformen und Helme und Gewehre tragen, nicht so wie eure Polizei, sie gehen im Patrouillenschritt am zerstörten Landwirtschaftsministerium vorbei, am ausgebrannten Małachowskipalais, und ihre Stiefel sind beschlagen, ihr biegt nach links ab, in die Podwale, da kommt deine Parade, Kostek, da ist die Podwale 21 , und der bescheidene Modernismus schaut deine Gendarmen-nicht-Gendarmen aus quadratischen Fenstern ohne Binden und Gesimse an.
«Und was nun?», fragt der ältere.
Und du weißt überhaupt nicht, was. Der Weg hat dich erschöpft, deine Rachelust ist verflogen. Doch jetzt noch zurück? Die Sache läuft von allein weiter, wie alles in deinem Leben, angetrieben nicht von deinem Willen, sondern von den Anziehungs- und Schwerkräften, die jeder gesellschaftlichen Situation innewohnen, in die du gerätst und denen du dich nicht widersetzen kannst, dazu müsstest du ein Mann sein, und was bist du, du Stück Menschenmist?
Und jetzt zieht die gesellschaftliche Sogkraft dich weiter kraft ihrer eigenen, inneren Logik von Beginn und Fortsetzung: Da ihr nun mal bis hierher gekommen seid, da die Adlerin dir ihre Gendarmen gegeben hat, da sie Gewehre geschultert haben, müsst ihr die Treppe hoch, müsst in die Wohnung des alten Peszkowski
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