Morphin
Peszkowski fort, und du, der komplett Degenerierte, du, Kostek, hättest gewiss auch ihrem Leib und Leben Gewalt angetan. Doch das war zu viel des Bösen für die einfachen Gendarmen, Deutsche zwar, jedoch mit dem elementarsten Anstand, der es verbietet, einer Mutter vor den Augen ihres Kindes ein Leid anzutun, diese Deutschen verweigerten deinen perversen Befehl und gingen, ohne den Knaben ins Verderben zu reißen, sie ließen ihn bei der Mutter. So obsiegte in ihnen die Menschlichkeit, die schließlich in jedem einfachen Manne glimmt, über deutsche Barbarei.
Der General hört zu. Der General trägt keine Uniform, der General trägt stolz Zivilkleidung, die ihm nicht passt, eine zu weite Jacke und zu kurze Hose. Der General ist ein gutaussehender, ruhiger Mann. Er ist kein Nationaldemokrat, mit den Nationaldemokraten hat der General nicht viel gemeinsam. Der General war in der Revolutionären Fraktion der Polnischen Sozialistischen Partei gewesen. Er trug das Abzeichen «Parasol» auf der Uniform. War Legionär, obwohl er im Unterschied zur Mehrheit seiner späteren Kameraden, der Legionspolitiker, eine gewisse, wenn auch beschränkte Ahnung von der Armee besaß, denn er hatte eine österreichische Ausbildung für Reserveoffiziere absolviert.
Der General ist auch ein Freimaurer im Meistergrad. Der General ist zudem Priester der Liberalen Katholischen Kirche, und auch wenn er daran gar nicht glaubt, haben die Weihen, die er von einem anglikanischen Priester empfing, teils aus Neugier, teils aus Spaß, teils aus künstlerischer Provokation, haben diese Weihen ihn geprägt, ein grauer Priesternebel hängt über ihm, und der General, auch wenn er es nicht weiß, ist aufgeschlossen für solche wie mich, für meine Welt. Vielleicht versteht der General deshalb meine Schwester so gut.
«Dort hinter der Wand wohnen vier von der Geheimen Staatspolizei», sagt er mit starkem Lemberger Akzent. Aber natürlich nicht wie die Kanaille, der General ist ein Adliger, kein Lemberger Schlagetot. Ein Schlagetot war Tumanowicz, dem du das Auge rausgezogen hast, auch an dieses Auge versuchst du jetzt angestrengt nicht zu denken, jetzt, da du die Marszałkowska gehst, ganz in der Nähe, wo es passierte, Straßen und Plätze und Pappe und Kärtchen und Marktstände und Schuhe, Schuhe.
«Dort hinter der Wand wohnen vier von der Geheimen Staatspolizei», sagt der General zu Peszkowski, während du nach Mokotów gehst. «Einer hatte die Grippe, aber sie dürfen keine polnischen Ärzte aufsuchen, und deutsche waren noch keine da. Ich habe ihn erfolgreich behandelt, und für mein Schweigen habe ich einen Vergaser bekommen, hier, ohne den wir das Auto nicht in Gang kriegen würden.»
Der alte Peszkowski hört zu, nickt aus mäßig interessierter Höflichkeit, nimmt den Vergaser in die Hand, na das ist ein Ding, trinkt ein bisschen Tee aus dünnem, durchsichtigem Porzellan, die Maschen im Muster der Spitzentischdecke sehen aus wie ein Mandala, das sich nicht auswischen lässt, das der Wind nicht verweht, wohl aber das Feuer.
Der Herr General, wiewohl Piłsudski-Anhänger, ein Mann der Sanacja-Bewegung und überhaupt ein Schwein, ist doch Pole, Pole sein heißt etwas, gerade in diesen Zeiten, Peszkowskis Hass auf dich, Kostek, ist stärker als sein Hass auf die Piłsudski-Leute, «Sanatoren» und sonstige Schweine, die sich seit dem Maiputsch mit ihren fetten Freimauerärschen in Polen breitgemacht haben. Peszkowski weiß, dass der General ein Logenbruder ist, doch das ist unwichtig.
Peszkowski traut dem General. Auch das ist nicht mehr wichtig.
Wichtig ist, dass jetzt geschieht, was geschehen soll. Die Dynamik der Ereignisse ist in Gang gesetzt. Denn der General hat gehört, was er hören sollte. Er kann das nicht mehr auf sich beruhen lassen. Denn in welchem Licht würde er dastehen, wenn er einen solch offensichtlichen Akt der Gewalt am Polentum zu bestrafen nicht wenigstens versuchte?
Und sogar, als der Kurier aus Paris dem General das Urteil darüber bringt, dass er Sanator ist oder besser «Sanacja-Schwein», wie Peszkowski lieber gesagt hätte, und den General von seinem Dienst entbindet und an seine Stelle den Verband beruft, in dem der General für das Gebiet Lwów verantwortlich sein wird, so vollziehen sich die Ereignisse doch bereits jetzt mit unerbittlicher Konsequenz und bestimmen jene fünf Jahre, die noch vor euch liegen. Der General fährt über die Grenze, ins sowjetische Lwów, aber was geschehen soll, das wird
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