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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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gestraft. Jacek könnte in dieser Rolle auftreten, mein süßer, lieber Jacek Rostański, aber er würde Hela nicht schlagen. Sie würden an einem Tisch im Kerzenlicht ausharren, würden sich höchstens bei den Händen halten oder vielleicht auch nur schmachtend daran denken, Helas Finger würden gern den kraftvollen Druck von Jaceks sicherer Hand spüren, es gibt aber keinen Grund dafür, weil schon alles gesagt ist, sie würden ihre stille Liebe auf dem Altar der Entsagung darbringen, es würde sie zu besseren Menschen machen, deshalb berühren sich die Hände nicht, und sie sitzen da und kosten stolz und stumm ihre intime Tragödie aus. Später fällt Jacek auf der Barrikade oder bei einem Aufstand, Streik, das Medaillon mit ihrem Foto an sich drückend, und Hela wird dann zwei Gräber pflegen und eine schwarz gewandete Heilige sein. Eine Polin.
    «Mir ist schlecht», stöhne ich mit zusammengebissenen Zähnen und fahre vom Tisch auf.
    Renne ins Bad und erbreche, lange, wieder und wieder. Hela stützt meinen müden Kopf, wischt die Lippen mit einem nassen Handtuch, und ich erbreche Sala, erbreche ihren weiblichen Geruch, ihren Wein und ihre Liebe.
    Dann lege ich mich schlafen. Ich bin sehr erschöpft, und über meine Stadt herrschen die Deutschen.

Kapitel zwei
    E r öffnet die Augen. Liegt neben seiner Frau, neben seinem Sohn und liegt doch allein. Ich stehe über ihm. Es ist Nacht, Oktober, es ist kalt, und erster, dünner Schnee fällt. Es ist Krieg, und über die Stadt herrschen die Deutschen.
    Er öffnet die Augen und weiß nicht: Ist er erwacht, oder träumt er von ihrem ehelichen Schlafzimmer, den bürgerlichen Möbeln, seiner Frau, dem Fenster, früher ein helles Rechteck, hell vom Licht der Gaslaternen, heute dunkel vom Nicht-Licht der besiegten Stadt. Es ist Nacht. Ist er also wach, oder träumt er?
    Er ist erwacht. Er sitzt auf dem Bett, die Schläfen pulsieren und auch die Gewissensbisse: Er hat das Morphin genommen, das den Verwundeten zustand. Polen zustand. Er betrügt seine Frau mit diesem verdorbenen, abstoßenden, großartigen Weib, das sich vor ihm entblößt wie eine Mänade, den Schoß hinstreckt und ihn so küsst, wie er sich nie von seiner Frau küssen lassen würde.
    In seinen Gewissensbissen steht er vom Bett auf, die Wohnung ist kühl, der Heizer spart bestimmt mit der Kohle. Er hüllt sich in den warmen Schlafrock, was ist dieser Schlafrock jetzt? Früher war es der Schlafrock, in dem er arbeitete, in den er sich hüllte, wenn er vor dem Brett oder dem Wachsrahmen saß oder vor der Schreibmaschine, jetzt ist es der Schlafrock eines Leutnants der Reserve des Neunten Ulanenregiments aus Trembowla, der sich versteckt. Die Mobilmachung, von Warschau nach Trembowla, der Kampfweg, nach Westen, nach Osten, durch die Wälder, Feindkontakt, Schießen, Verstecken, Flucht und zurück nach Warschau, die Kapitulation, jetzt im Schlafrock, in seinem warmen Schlafrock, als wäre kein Krieg, nur das Fenster erloschen.
    Schlafrock der Kapitulation. Und wenn die Deutschen ihn verhaften?
    Ich denke an Sala. Ich will nicht an Sala denken.
    Und denke doch an Sala.
    Sala. Salomé. Dann: Hela. Helena. Die böse Helena, die gemeine Helena wünscht mir den Tod, ich soll für Polen fallen. Salomé, meine Salomé, vergöttert mich. Salomé ist sogar mein Gestank heilig.
    Blödsinn, Blödsinn, Blödsinn. Helena liebt mich wirklich. In ungespielter Liebe. Salomé, die rothaarige Verrückte, trinkt mein Blut.
    Das hat sie mir gesagt, als wir uns das erste Mal sahen, bevor ich sie zeichnete. Wir tanzten im Adria unter flackernden, kreisenden Kronleuchtern, wir drehten uns, und sie schmiegte sich mit ihrem ganzen Leib an mich, streckte sich, um mir zuzuflüstern: Ich werde dein Blut austrinken. Dann leckte sie mich ins Ohr.
    Vorher hatte sie bei Simon Austern geschlürft, wir saßen mit Iwaszkiewicz an dem einen Tisch, Sala saß am anderen, hinter Jarosław, und verführte mich hinter seinem Rücken. Iwaszkiewicz, ein schöner Mann, machte mir irgendwelche Komplimente, redete über Literatur, über Kopenhagen und Brüssel, und Sala hob hinter seinem Rücken nur die Austern vom Eis und saugte sie aus, schamlos schlürfend. Sie sah mich mit Iwaszkiewicz sitzen, das hieß, ich bin nicht irgendwer, bestimmt verführte sie mich deshalb. Dabei kenne ich ihn kaum. Sehe ihn ab und zu. Manchmal reden wir ein paar Worte. Außer ihm kenne ich überhaupt keine berühmten Leute. Gut, ich grüße manche, und sie grüßen zurück,

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