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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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leckt sie die Nadel ab. Flüssige Wärme verbreitet sich in meinem Salakörper. Flüssiges Glück, und mein Salakörper kehrt zum Kuss zurück.
    Und ich drifte ab. Sala deckt meine zwei Körper mit Federbetten zu, schmiegt sich an mich, und ich treibe in warme, weiche Dunkelheit, Dunkelheit wie ein Liebeskrampf, zerdehnt wie eine Uhr von Dalí, Dunkelheit wie warmes, weichwerdendes Blei, unten an meinem Körper dringt Lust in die Welt, schwillt an und platzt, ergießt sich in Kaskaden von glänzender Dunkelheit, in die Lungen, in die Kehle, in den Schoß, den Schwanz, die Beine, bis in die Fingerspitzen, ergießt sich in mich und beklebt die Welt. Und alles leuchtet auf, und alles erlischt.
    Warschau erlischt. Mein Leben erlischt. Meine Mutter erlischt, Jacek, Hela, Jureczek erlöschen. Die Erinnerung an das väterliche «Konstantin!» erlischt, der Vater, mein erstes Bild von ihm, seine graue Uniform vergeht und der Helm mit dem viereckigen Ulanen-Deckel, die Ulanenstiefel, das zerschmetterte Gesicht, auch die Mutter erlischt, ihr lauter Streit in zwei Sprachen, aus der Zeit, als sie sich noch liebten, die höflichen, natternzischenden Invektiven aus der Zeit, als sie sich hassten, Warschau, zum ersten Mal gesehen, erlischt, aus einem Zugabteil erster Klasse, der erste Gang zur neuen Schule und Warschau, zum letzten Mal gesehen, erlischt, vor einer Stunde, all das vergeht, was dazwischen ist, die Oberschule, das Abitur, Studium und Grudziądz, Pferde, Säbel und das Praktikum in Trembowla, der mit ruthenischen Mädchen vor dem Denkmal Zofia Chrzanowskas auf dem Trembowler Schlossberg getrunkene Wein erlischt, und alle Regimentsplänkeleien, als es noch Komorowski unterstand, erlöschen, sogar der beim Versuch, auf die Mauern des Schlosses von Trembowla zu reiten, gebrochene Unterarm erlischt, der silberne Sektpokal mit meinem eingravierten Namen, die Cafés, das Oaza, Paradis, Ziemiańska und das Adria erlöschen, berühmte Menschen, die ich kannte, also Jarosław, der mir bei Simon schöne Augen machte, und Witkacy, der Sala lüsterne Augen machte, das blöde Duell mit Rostański erlischt und die Farce, zu der es geriet, Iga, die Rostański mir abspenstig gemacht hat oder die ich ihm abgetreten habe, ich weiß nicht mehr, erlöschen, und meine Trauung mit Hela, die blöden Säbel, unter denen wir hindurchgehen, und unser erster Streit, weil ich mir dieses Säbelritual verbitten wollte, während Hela es hinter meinem Rücken mit den Kameraden vereinbarte, die Kameraden erlöschen und der Reis, der auf uns gestreut wurde, Jureczeks Geburt und der Augenblick, da ich ihn zum ersten Mal auf den Arm nehme und in dieses bläuliche, runzlige Schnäuzchen blicke wie in mein eigenes Gesicht, die neue Wohnung im Mietshaus erlischt, das Treffen der Neuner in Trembowla letztes Jahr erlischt, das Trinken und überhaupt das Regimentsfest zur Zwanzigjahrfeier seiner Wiederaufstellung erlischt, wie schön war das damals, wer war man schon damals, nichts deutete darauf hin, was kommen würde, und auch dieses Nichthindeuten ist erloschen, die Mobilmachung vor gut einem Monat, die Nüchternheit erloschen, der Krieg, die Kapitulation, die Okkupation, die Resignation. Erloschen.
    Erloschen. Nichts mehr da, ich in der Mitte der Dunkelheit, ohne Körper, ohne Gedanken, ohne alles, das reine, passive Ich, das Nicht-Ich, das nicht da ist. Nicht-Ich löse mich in der Dunkelheit auf wie ein Regentropfen im Ozean. Und Nicht-Ich fühle, ohne zu denken: Nicht-Mir ist wohl vom Nichtsein, so süß ist Nicht-Mir, warm, weich, warm von lustvoller Feuchtigkeit, samten, matt, weißhäutig, Salomé ist und ist nicht, denn Nicht-Ich bin nicht da, meine Hände von Sala auf meiner eigenen Haut, Nicht-Ich bin leer innen drin.
    Nicht-Ich.
    Nicht-Ich öffne die Augen. Ich öffne die Augen.
    Die Uhr. Zweiundzwanzig. Schnell vergangen. Neben mir Sala.
    Ich muss raus hier. Sofort. Trotz der Polizeistunde. Ich schaue Sala an, scheinbar meine Sala, und sie kommt mir abstoßend vor: Sie schläft, so weiß, mit offenem Mund, die Höhle dieses Mundes ist eine abscheuliche Wunde, die Zähne Knochenstümpfe. Ich stehe auf, ziehe mich an. Als ich mir schon an der Tür die Schuhe zubinde, kommt Sala aus dem Schlafzimmer. Nackt, die Augen Spalten, die Lider wie mit dem Messer aufgeschlitzt, nackt, mit zerzaustem Haar, sie versucht gar nicht erst, die Brust oder den Schritt zu bedecken. Mich widert der Anblick ihrer Brüste an, dralle Hautkugeln, die Warzen darauf wie die

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