Morphin
kommt nicht in Frage. Geh aufs Sofa und schlaf», sagte sie mit der harten Stimme des Posener Nationaldemokraten, der Stimme ihres Vaters, genauso redet der alte Peszkowski: die Dominanz der Juden in den Rechtsberufen ist die große Tragödie unseres Vaterlandes. Kostek, geh aufs Sofa, schlafen.
«Ich habe doch gesagt, dass ich der Łubieńska dieses Paket bringen werde», jammere ich. «Und für Jureczek habe ich Schokolade …»
«Kostuś, sei kein Jammerlappen», kommt es aus den Lippen meiner Frau mit der Stimme meines Schwiegervaters.
Sie braucht nicht viel körperliche Liebe. Körperliche Liebe ist für Hela ein Bestandteil der hygienischen Lebensführung, einmal in der Woche muss man sich dem Mann hingeben. Unbedachte Schwangerschaften gilt es zu vermeiden, deshalb nutzt sie die Broschüren der Polnischen Eugenik-Gesellschaft, sie liest sie, meine ich, was sie benutzt, weiß ich nicht, will damit nichts zu tun haben. Nach dem Verkehr, wie sie es nennt, begibt sie sich immer ins Bad und beschäftigt sich dort längere Zeit, das Wasser rauscht aus dem Hahn. Die Entscheidung, wann und wie viele Nachkommen wir haben würden, obliegt Helena. Und dem Schwiegervater, selbstverständlich. Der Schwiegervater tönte beim Mittagessen, das eugenische Denken sei unabdingbares Element der Lebenshygiene, so wie regelmäßiger Stuhlgang, entsprechende Diät und gute Manieren. Natürlich, Papa, sagte Hela. Und wie sieht es mit eurem Eheleben aus, fragte der Schwiegervater bei der Suppe, denn er akzeptierte es nicht, dass «diese Dinge» stigmatisiert und aus der normalen Unterhaltung verbannt wurden. Da warf ich den Löffel hin und sagte, ich verbitte mir das und so weiter, und alle drei Peszkowskis am Tisch sahen mich mit ihren eugenischen, stählernen Augen verächtlich an.
«Ich liebe dich», winsele ich. Ich könnte sie vergewaltigen, denke ich, dann würde sie mich fürchten lernen und vielleicht wirklich zu lieben beginnen.
«Ich liebe dich auch, Kostuś. Gute Nacht, Kostuś. Geh aufs Sofa», sagt mein Schwiegervater.
Ich lege mich aufs Sofa. Denke daran, zu Salomé zurückzugehen, um meine quälende Erregung zu befriedigen, aber ich habe Angst vor den Deutschen und befriedige mich selbst, im Bad.
Und jetzt kann ich nicht einschlafen. Kann nicht einschlafen. Nicht einschlafen.
Er kann nicht einschlafen. Liegt auf dem Sofa, besudelt, unter der Decke, einsam, klein, dumm, zertreten. Da liegt er, mein Lieber. Steht auf, sucht nach Zigaretten, legt sich wieder hin, steckt sich eine an, liegt unter der Decke, denkt nach. Ich schaue ihn an, stehe hinter ihm.
Und ich schlafe bis zum Morgen nicht. Statt des Schlafes – Fragen. Wer bin ich? Wozu bin ich? Oder eher, vor allem: Warum bin ich ein Mistkerl, ein Schwein, eine moralische Null, ein gemeiner Hund? Ich könnte sein, wer ich will, habe alles, bin zur Größe dressiert, könnte groß sein in halb Europa, in Berlin und Warschau, ich bekam so viele Chancen wie nur wenige, stattdessen trinke ich nur, ich trink im Cristal oder in der Gastronomia, ich trinke, berausche mich und zeichne Weibsbilder, und jede nackte Frau, die ich zeichne, ist meine Besiegerin, sie unterwirft mich, jede Nackte, die ich zeichne, nimmt mich in Besitz. Deshalb zeichne ich fast gar nicht mehr. Ich bin kein Künstler, hab nur ein bisschen so getan. Ich bin ein Niemand, je mehr ich bekommen habe, desto größer wurde meine Gemeinheit, meine Niedertracht, mein Elend und mein Scheitern. Ich, Nicht-Ich, Niemand-Ich.
Nur gut, dass ich schon in meiner Wohnung bin, zu Aniela gehe ich nicht mehr zurück. Für die Katz, dieses Versteckspiel. Und wozu?
Hela ist aufgestanden, früh, sie macht Frühstück, Frühstück für mich, auch Jureczek ist aufgestanden, und ich, besudelt, verdreckt, widerlich, ekelhaft, liege im Halbschlaf auf dem Sofa, im Nicht-Schlaf, liege da und ekle mich, Jureczek kommt zu mir, lieber Papa, liebster Papa, drückt mich, meine Arme, unwürdig den Erstgeborenen zu umarmen, umfassen ihn dennoch, mein Söhnchen, worauf ich mich losreiße und schon weiß, was ich tun muss. Ich simuliere plötzlich männlichen Aufbruch, männliche Eile, zupackende Tatkraft, Entscheidungsstärke, rasch, Hela, das Frühstück, dieses Paket darf nicht warten, schnell stopfe ich mir rein, was da ist, viel ist es nicht, Brot, das ich selbst gebracht habe, ich esse, trinke Kaffee, den gibt es noch, bei Aniela nicht, bei uns schon, weil ich einen Vorrat gekauft habe, einen großen Vorrat, denn
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