Morphin
manchmal sind wir uns sogar vorgestellt worden, aber das heißt nicht, dass ich sie kenne.
Und sie, Austern essend, streckt mir vorsichtig die Zunge raus, nur die Spitze, sie weiß, wie das wirkt, der Typ, mit dem sie sitzt, wird ärgerlich, weil er sieht, dass sie mich und nicht ihn ansieht, den Blick nicht von mir lassen kann und an diesen Austern lutscht, ich bin nichts im Vergleich zu ihm, aber sie macht Theater für mich. Am Ende verabschiedet er sich, zu dünnhäutig, und geht. Ich habe gewonnen.
Und sie schloss sich uns an, man ging ins Adria. Dort brillierte schon Járosy, wir setzen uns dazu, Alkohol, Kokain, Lüster, Orchestertusch, und Sala setzt sich zu mir, wir tanzen, sie leckt mir das Ohr und flüstert, sie werde mein Blut austrinken. Später ein Vermögen auf der Rechnung, ich weiß, sie hätten gern gehabt, dass ich alles bezahle, aber wenn ich das tue, werden sie keinen Respekt vor mir haben, deshalb sehe ich sie an und gebe ein Viertel, den Rest sollen sie selber hinlegen, das gebe ich deutlich zu verstehen, ich bin ihnen ebenbürtig, wenn auch ein Niemand, und sie fügen sich, es gilt, sie zahlen den Rest, ungern, die Säcke, aber sie zahlen, und ich bin euch ebenbürtig, Iwaszkiewicz, Járosy, jeder hat seinen Teil bezahlt, jeder seine zweiundfünfzig Złoty, Sala schaut mich bewundernd an, ich habe mich nicht unterkriegen lassen.
Und jetzt Schluss, aus, vorbei, null, schwarzes Loch, Verzweiflung und Scheiße.
Ich werde zu dieser Łubieńska gehen, wer immer das ist, werde das verfluchte Paket hintragen, was immer drin sein mag, aber ich lasse mich in keine idiotischen, höllischen Konspirationen hineinziehen. Deshalb schickt mein lieber Schwiegervater mich dorthin, damit ich hübsch mein Polentum beweise, sie sind furchtbar stolz auf einen wie mich – Vater Preuße, na bitte, die Mutter eine eher frisch gekürte Polin, spricht schönes Polnisch, ihre Großeltern noch kein Wort, und ich nun hier in Warschau, entschieden, Pole zu sein. Ach, wie wunderbar! Was für eine Geschichte! Was für eine große Sache ist das Vaterland und solches Blabla.
So wie Járosy, den sie für einen Ungarn halten, dabei ist er in Prag geboren, redet Deutsch und sieht sich als Österreicher. Im Cyrulik ist er mit seinem «Prouschi Panstwa» herausgeplatzt, «Bitte die Herrschaften!», das reichte, damit Grydz ihn zum Polonus humoris causa erklärte. Und jetzt versteckt er sich irgendwo. Oder sie haben ihn abgeholt. Weiß der Teufel.
Hela war am zweiten September in einer Aufführung des «Figaro» und erzählte mir danach, als ich von unserem lächerlichen kleinen Krieg, in dem wir uns hauptsächlich im Wald versteckt hielten, heimgekehrt war, wie Járosy im Theater aufgefordert habe, die Hymne zu singen, und der ganze Saal weinte, Járosy auch. Und jetzt versteckt er sich und seine polnische Seele. Oder wurde abgeholt.
Scheiße.
Ich stehe in der Schlafzimmertür. Es ist dunkel, doch ich erkenne ihre Umrisse: Hela und Jureczek unter den Federdecken, die Körper, die mir am nächsten waren, gesund, rein, geliebt.
«Ich werde zu dieser Łubieńska gehen», sage ich. Als würde ich dem Vaterland die Treue schwören. Wie ich es schon einmal getan hatte. Worte, in die Dunkelheit gesprochen.
«Ich weiß, Kostuś, ich weiß, dass du gehen wirst. Ich liebe dich, Kostuś.»
Sie antwortet mir sofort, bestimmt hat sie gar nicht geschlafen.
«Sie warten dort auf dich, du kannst kommen, wann es dir passt. Klopf erst dreimal, dann viermal. Wenn sie öffnen, sag die Losung: Ist Herr Kazimierz zu Hause? Wenn sie antworten, dass er weggegangen ist, heißt das, du musst fliehen. Er ist da, gehst du rein. Kannst du es dir merken?»
Ich murre zur Bestätigung.
Ich werfe den Schlafrock ab, lege mich wieder ins Bett, grabe mich in die Federn, berühre ihren Rücken, die Hüften. Helas Leib ist völlig anders als der Salomés. Ein sportlicher Körper, muskulös, wo es möglich ist, mit harten und kräftigen Brüsten, selbst ihre Weichheit war anders als jene, ein rassiger Körper, während Sala die Schönheit einer hübschen Promenadenmischung hat.
Helena, wie sie auf dem Höhepunkt ihrer Schönheit war, vor zwei Jahren in Paris: Wir waren zu einer Ausstellung gefahren, Józek hatte uns eingeladen, gingen danach zum Empfang, sogar Speer habe ich dort gesehen, nur von weitem, natürlich hat uns niemand vorgestellt. Da stehen wir mit Józek, ein wenig verloren, was ich mir damals natürlich nicht eingestehen wollte, und ich
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