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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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fahren.
    Ein Posten an der Ausfahrt aus der Stadt. Ein deutscher. Ich in Uniform. In deutscher. Dzidzia lächelt ungezwungen, als hätten wir zum Tanken angehalten, volltanken, Chef?
    Ein Offizier, das merkt der Soldat sofort, also nähert er sich höflich, gemessenen Schrittes, vielleicht auch ganz normal, oder vielleicht nähert er sich reserviert, vorsichtig, vorschriftsmäßig vielleicht, aber ich gehe doch lieber davon aus, dass er höflich herantritt, und ich beherzige, was mein Vater mir gesagt hat, drehe die Scheibe herunter und zeige nur die Plakette mit dem geprägten Wehrmachtsadler auf der einen und der Geheimen Feldpolizei samt Dienstnummer auf der anderen Seite, der Soldat salutiert auf der Stelle, starr vor Schreck, vom Stromschlag getroffen. Wirklich starr? Ich gehe lieber davon aus, dass er starr vor Schreck war, aber ob wirklich, was heißt schon wirklich?
    Ich würde es dir sagen, aber auf mich willst du nicht mehr hören, Kostek, hast du je auf mich gehört.
    Er salutiert also, ich kurbele die Scheibe hoch und weiter, Dzidzia klatscht in die Hände.
    «Toll!»
    «Wir schaffen das», sage ich.
    Wir fahren. Masowien.
    Hier entlang bin ich noch nie gefahren. In die Richtung bin ich oft gefahren, aber jetzt fahre ich hier anders entlang, trage einen Adler auf der Brust und weiß, ja, ich weiß, das ist bedeutungslos. Ich habe die Uniform des Feindes angelegt. Ein Trick. Nichts weiter. Es ist Krieg. Ich riskiere die Erschießung, weil ich Feindesuniform trage. Ich bin ich, nur in einer anderen Uniform.
    Schließlich bin ich Deutscher. Was droht mir für das Tragen der Uniform meines Vaters, dafür, dass ich mich für ihn ausgebe, gefälschte Papiere habe? Das Gleiche und doch nicht das Gleiche. Die Todesstrafe, aber für einen Deutschen. Wird man erschossen, aufgehängt oder geköpft?
    Geköpft. Ich würde es dir sagen, wenn du zuhören wolltest. Wenn mich nicht etwas aus dir verdrängen würde, du selbst bist das ja nicht, sondern etwas anderes. Die Guillotinen sind klein und rot gestrichen, die Henker legen den deutschen Kopf zwischen zwei Bretter mit einer Aussparung für den Hals, ziehen an einer Schnur, das Fallbeil saust nieder und trennt den Kopf vom Körper.
    Masowien. Bläulich-bräunliche Landschaft, schlechte Straße, sehr schlecht, schon hinter Piaseczno. Schlechte Landschaft, sehr schlecht. Die Felder wie ein umgepflügter Tisch, ich bin das gewohnt, wann habe ich mich an diese Felder gewöhnt, Bäume, und ich fahre, und neben meinem Knie die Maschinenpistole, dahinter Dzidzias Knie in fleischfarbener Strumpfhose. Wir schweigen, worüber sollten wir sprechen? Ich sollte anhalten, die Landkarte auseinanderfalten, planen, doch jetzt will ich nichts als Auto fahren, nicht zu schnell, die Straße ist schlecht, vorsichtig, um nicht durch einen Federbruch in einem Schlagloch alles zu zerstören.
    Ich fahre, vorsichtig, geradeaus, Dzidzia guckt nach Westen, ich sehe ihren Hinterkopf, den dunkelgrünen Filz des Hütchens und die hervorstehenden hellen Strähnen.
    Wir fahren, weit.
    Weit von Warschau.
    Links die Weichsel, rechts Deutschland. Land und Leute. Deutschland und die Deutschen. Hinter Warka eine vorzügliche Straße, ich öffne die Drosselklappe, komme auf achtzig Stundenkilometer.
    «Ich denke, irgendwo hinter Sandomierz werden wir übernachten», sage ich, überschreie das tolle Geheul der sechs Zylinder.
    «Aber wo?», fragt Dzidzia. «Auf freiem Feld schlafen wir nicht. In einem Hotel?»
    Ich wundere mich. Das sieht Dzidzia eigentlich nicht ähnlich. Sie ist Aristokratin, aber auch wenn sie Seidenbettwäsche gewohnt ist, sollte sie doch auf freiem Feld übernachten können. Fürs Vaterland, für seine Rettung. Übers Meer wir eilen, dann auch im Feld.
    «Es geht doch nicht um mich», lacht sie. «Ich kann auch draußen schlafen. Aber wie stellst du dir das vor, ein deutscher Offizier, einen Monat nach unserer Kapitulation, der schläft doch nicht irgendwo auf dem Feld. Der übernachtet unter einem Dach, und erst recht mit einer Frau. Im Auto, und überhaupt?»
    Das leuchtet mir ein.
    Aber warum, warum hat sie mir geantwortet, wo ich doch schwieg, ich fuhr schweigend, die Hände am Lenkrad. Wie konnte sie mich hören?
    An der Straße nach Kozienice ein ausgebrannter Panzer. Ein polnischer oder deutscher, das kann ich nicht erkennen, mit Panzern kenne ich mich nicht aus. So ein größerer, also vielleicht doch eher deutsch.
    «Tschechisch», antwortet Dzidzia. «Das heißt ein deutscher

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