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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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Bardejov», sagt Dzidzia.
    So weit? Und die Grenze?
    «Und die Grenze?», frage ich, ohne den Kopf zu heben, ohne die Augen zu öffnen.
    Der Motor läuft, das Auto bebt leicht, wir fahren. Ich setze mich auf, wir fahren auf der linken Straßenseite.
    «Wollten die nicht zum Rechtsverkehr wechseln? Ich habe gehört, sie hätten das im Frühling geändert», frage ich.
    «Im Protektorat, ja. Hier ist unabhängiges Gebiet, angeblich sind sie gerade dabei, das zu ändern, aber bislang fährt man hier links. In Ungarn ebenso», erklärt sie.
    «Seltsam.»
    «Bei uns in Krakau war das auch so. Mein Papa kann sich bis heute nicht daran gewöhnen und fährt nicht Auto, wenn er in Polen ist.»
    «Aber wie bist du über die Grenze gekommen?»
    «Da standen zwei Slowaken. Ich hab ihnen hundert Dollar gegeben, sie haben dich gesehen, ich hab gesagt, der Herr Kapitän ist komplett besoffen und muss morgen in Budapest sein, da haben sie salutiert, eine angenehme Fahrt gewünscht und mich darauf hingewiesen, dass wir links fahren sollen. Dann sind wir weiter.»
    «Das ist nicht möglich», sage ich.
    «Denk mehr wie ein Deutscher, Konstanty.»
    «Ich weiß nicht, wie die Deutschen denken.»
    Es hellt auf, es tagt, die Sonne des Tages geht auf. Rechts bewaldete Gipfel, Berge, nicht sehr hoch, aber Berge, links kahle grasbewachsene Gipfel, darüber die Sonne.
    Hütten aus Lehm und Reisig. Die Straße halbwegs in Ordnung. Wir fahren, ich will mich wieder unter dem Pelz verkriechen, aber nein, ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, eine Minute oder zwei Viertelstunden, ich setze mich auf, reibe mir den Schlaf aus dem Gesicht. Der Tag, aber grau und bedeckt, Schnee fällt nicht mehr.
    Und dann Bardejov. Viele Kirchen, sechs zähle ich, und dann noch eine mit Doppelturm, auf dem Hügel über der Stadt.
    Ich habe so ein seltsames Gefühl, als wären wir gar nicht bei uns.
    «Wir sind nicht bei uns», sage ich.
    «In dieser Uniform bist du überall bei dir. Denk wie ein Deutscher, Kostek. Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt.»
    Ich habe ein seltsames Gefühl, seltsam allein schon, dass ich es habe angesichts der Situation, aber ich hatte es genauso, wenn wir früher über die Grenze fuhren, auch wenn es ganz nah war, wie in die Sommerferien zum Sopot.
    Wir fahren über den Marktplatz, durch die Altstadt. Schreiende Armut, wo haben sie bloß all die denkmalreifen Gebäude her, hat hier seit dreihundert Jahren niemand etwas Neues gebaut? Die Stadt noch leer, die Sonne geht auf. Der Milchmann, eine Bäckerei hat geöffnet.
    «Wir können uns frisches Brot kaufen», sage ich, «wir haben nichts gegessen.»
    «Wozu essen», erwidert Dzidzia, als wische sie eine Banalität weg.
    Also fahren wir aus Bardejov heraus, Richtung Süden, nach Prešov, so sagt die Landkarte. Von Bardiów nach Preszów.
    «Ich war mal in einen Ungarn verliebt, aber er wollte mich nicht, er war verheiratet.» Dzidzia beginnt zu reden. Die Straße ist trocken und schnurgerade, es geht bergab, und Dzidzia redet und öffnet dabei die Drosselklappe immer weiter.
    «Er war Schriftsteller, stammte aus Kassa, wohnte aber in Budapest. Er mochte mich, ich gefiel ihm, aber nach einem kurzen Flirt schickte er mich weg, verabschiedete mich so zartfühlend wie nur möglich; ich hasste ihn dafür bis auf die Knochen, denn er hatte sich wie ein Gentleman benommen, wie ein absoluter Gentleman.»
    Wir rasen dahin.
    «Ich bot mich ihm an, servierte mich wie auf dem Silbertablett, ohne jede Verpflichtungen, ich wollte ihm einfach nur gehören, wenigstens für eine Nacht, aber er wies mich zurück, obwohl er Lust auf mich hatte, das sah man deutlich, durch die Hose, er begehrte mich außerordentlich und gestand es mir sogar, aber er wies mich zurück. Nicht aus Liebe zu seiner Frau, die er liebte, auch wenn er ihr nicht immer treu war; er lehnte mich ab wegen des Respekts, den er für mich hatte. Ich sei keine Frau, die man zur Geliebten macht, sagte er. Niemand hat mich je härter verletzt. Und niemand war edelmütiger zu mir.»
    «Warum erzählst du mir das?», frage ich und klettere auf den Vordersitz, wobei ich mich ein bisschen frivol verrenke, jedenfalls unangemessen der ernsten Stimmung, die nach Dzidzias Geschichte herrscht. Aber ihr Rasen macht mir langsam Angst, ich hoffe, sie auf dem Vordersitz ein bisschen zügeln zu können.
    «Ich weiß nicht. Wir redeten Deutsch miteinander. Er sprach Deutsch wie ein Wiener, so wie du. Wir haben uns noch ein paarmal

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