Morphin
Kind den polnisch-kaschubischen Dialekt, mit dem seine Großmutter manchmal mit dem Vater sprach, und er fragt den Jungen, so gut er kann, nach seinen Eltern aus.
«Meine Eltern leben nicht mehr», sagt Jureczek. «Ich heiße Jerzy Willemann.»
Und mit diesen Worten und den großen Augen und dem deutschen Namen wird er zum Sohn des Regiments, bekommt eine kleine deutsche Uniform, die ihm der Regimentsschneider auf den schmalen Leib schneidert, und später, als der kleine Georg Willemann aus dieser Uniform mit rosa benähten Schulterstücken herauswächst, näht er ihm eine neue.
Nein. Er sitzt auf Peszkowskis Knien. Dein Papa lebt nicht mehr. Dein Papa ist von dir gegangen. Er ist nicht mehr unter uns Polen. Und Hela schaut sich das alles mit an.
Aber vielleicht erlaubt sie es ja nicht. Vielleicht wagt Peszkowski nicht, etwas zu sagen, wenn er ihren Blick sieht, vielleicht besitzt er genug väterliches Feingefühl seiner beinah verwitweten Tochter gegenüber, oder hat er das nicht?
Ich schlafe, die Frau lenkt, und ich bette den Kopf auf Jaceks Knie.
«Ich war immer ein Freund für dich», flüstert er, wiederholt es wie ein Mantra. «Immer.»
«Weißt du noch, Kostek, wie wir uns kennengelernt haben, weißt du noch? Erinnerst du dich an das Sommerlager, als wir Iga trafen und sie erst dir gehörte, und dann habe ich sie mir genommen, als du sie nicht mehr wolltest, und dann hast du sie wieder genommen, einfach weil dir der Sinn danach stand, erinnerst du dich?»
Das ist nicht so, liebster Jacek, so ist es gar nicht, will ich schreien, aber ich bin ein Stummer, meine Lippen öffnen und schließen sich wie die eines Fisches, sprachlos auf deinen Knien.
Erinnerst du dich, wie ich dich mit Salomé bekannt gemacht habe? Noch bevor sie meine Geliebte wurde. Du hättest sie haben können. Ich habe euch zusammengebracht. Aber du wolltest nicht. Warum wolltest du Salomé nicht, hat sie dir nicht gefallen, warum nicht?
Jaceks Hand gleitet von meinem Haar auf meinen Hals und drückt mir den Adamsapfel zusammen, wir rangeln, und gleich darauf wird alles ruhig.
«Schlaf, ruh dich aus, du wirst später wieder fahren müssen, ich wecke dich an der slowakischen Grenze», sagt Salomé.
Salomé?
«Warum wolltest du mich nicht?», weint sie.
Ihre Hände, in Zwirnhandschuhen, umklammern das Lenkrad.
«Warum hast du mich von Anfang an wie eine Nutte behandelt?»
Du hast recht, ich habe dich von Anfang an wie eine schöne, leidenschaftliche, betörende Nutte behandelt.
«Was habe ich dir getan, Kostek, warum? Ich hätte keine Nutte sein müssen. Für dich hätte ich eine andere werden können.»
Salomé. Mit Iga. Auf der Rückfahrt von Kobryń nach Warschau. Die blau gewordenen Striemen auf ihren weißen Leibern, den Oberschenkeln, den Gesäßbacken und Rücken.
Ich schlafe. Bin nicht da. Jureczek?
Nicht da. Auf den Knien. Im Schnee. Peszkowski.
Jacek? Der depressive Jacek. Unter meinem Kopf. Wo seid ihr?
«Konstanty?», fragt Dzidzia.
«Ja?»
«Du schreist im Schlaf.»
«Ich schlafe gar nicht», antworte ich.
Ich träume nicht. Ich schlafe nicht. Ich schreie im Wachen die Schneeflocken an, durch die der Wagen sich seinen Weg bahnt, die auf dem Zeltstoffdach schmelzen und die Scheiben hinabrinnen, vorn und hinten.
Ich schreie die Schatten der Bäume an. Schreie die Schatten der Häuser und Hügel an, den Rhythmus der Schlammwege und kleinen Brücken, das Knattern des Motors, meinen schmerzenden Rücken und eingeschlafenen Hintern und Schenkel, schreie alles an, was mich ausmacht und was ich jetzt bin. Ich schreie.
«Schlaf, Konstanty. Deck dich mit meinem Pelz zu.»
Keine Straße mehr zu erkennen, dafür die Landkarte. Bahnlinie, Bogoniowice, Ciężkowice, der Fluss Biała. Nach Süden. Hügel, man sieht die Hügel kaum. Wir fahren. Wie auf einem Ausflug. Weiter.
Scham. Große, erstickende, lähmende Scham.
Für alles. Jureczek im Schnee auf Peszkowskis Knien. Hela. Das ist ihre Schuld, ihre Schuld, ihre große Schuld. Alles.
Schnee und Oktober und Nacht und der Motor, und ich kann nicht schlafen, nicht in so einer Situation, einfach überhaupt nicht, deshalb setze ich mich immer wieder auf, greife nach der Karte, leuchte mit der Taschenlampe darauf, Ciężkowice, Zborowice, Schnee. Und dann setze ich mich nicht mehr auf und leuchte nicht mehr.
Weg der Scham, Weg der Schande.
Kapitel zwölf
D ie Dunkelheit weicht, durch die geschlossenen Lider dringt rosig das grauende Tageslicht.
«Wir sind vor
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