Morphin
ich an seinem Stand vorbeikomme.
Ich ekle mich vor Berührungen. Im Bett lasse ich mich von Frauen anfassen, aber nichterotische Liebkosungen, Zärtlichkeiten im Alltag, das hasse ich. Helena gestatte ich so etwas, weil ich weiß, dass sie das mehr braucht als das Sexualleben, also lasse ich mir von ihr durch die Haare fahren oder den Hals tätscheln, aber ich mag es nicht. Und jetzt auch noch ein Mann, der mich anfassen will? Vor dem ich mich nackt hinlegen soll, nur ein Handtuch auf dem Po, und dieser Riese mit den Bassetaugen soll mich mit öligen Händen massieren? Widerlich.
Ich sage ja.
Ich folge dem Gargantua, strecke mich auf die Liege, die er mir zuweist, nachdem ich mich zuvor in ein Handtuch gewickelt habe, der Masseur ölt sich die Hände ein und beginnt, mir die Schultern zu kneten. Daran ist nichts Ekelhaftes; mehr noch, es ist sogar angenehm.
Ich bin Konstanty Willemann, und es ist nicht wichtig, was ich mag und was ich nicht mag. Wichtig ist, dass ich da bin.
Mit dem Lift fahre ich hoch, gehe zurück aufs Zimmer.
Dzidzia sitzt am Fenster, die gefalteten Hände auf den Knien. Sie dreht sich zu mir.
«Hast du Zigaretten?», fragt sie. Ihre Augen sind nicht verheult, allenfalls ein wenig gerötet.
Ich gehe zu meinen Sachen, hole ein Päckchen, biete Dzidzia an und rauche selbst. Starke, französische, die ich gerade bei mir habe.
«Ich habe ihn angerufen. Seine Frau hat abgehoben. Ich hab aufgelegt.»
Ich nicke nur, was hätte ich sagen sollen?
Wir rauchen schweigend, dann drücken wir die Zigaretten aus.
«Steifer will unser Auto. Man kann schwer nein sagen. Er behauptet, die Internierungslager seien über ganz Ungarn verteilt und er müsste sie abfahren. Wir sollen mit dem Zug zurück, heute Abend fährt ein deutscher Sonderzug nach Warschau, sie müssten mich reinlassen.»
«Ich fahre nicht, Konstanty.»
«Wie bitte?»
«Ich bleibe hier.»
«Wie das?»
«Eine Zeitlang, nicht für immer. Eine Woche, vielleicht ein bisschen länger.»
«Aber wie kommst du zurück? Du hast doch nur polnische Papiere.»
«Über das Gebirge.»
«Es wird Winter.»
«Ich komme schon klar. Ich kenne die Berge, ich fahre Ski. Ich komm schon zurück, keine Angst. Ich muss ja zurück …»
Ich stehe auf, gieße mir kalten Kaffee ein.
«Du musst nicht. Du kannst hierbleiben oder dich nach Frankreich durchschlagen oder nach London.»
«Ich weiß. Aber …»
«Ja, ja, der Ingenieur. Das Vaterland. Der Dienst», spöttele ich dümmlich, unnötig, und spöttele doch.
«Nein. Du.»
Ich erstarre mit der zum Mund gehobenen Tasse.
«Was?»
«Ich will dich … wiedersehen. Ich muss eine Weile hierbleiben, ich dachte, wir bleiben zusammen hier, aber wenn es nicht geht, kehrst du allein zurück, ich muss bleiben. Ich weiß, es ist Krieg, Vaterland, Aufklärung, Konspiration, aber …»
«Erklär mir nichts, ich verstehe. Ich bin verheiratet, Dzidzia», sage ich leise, sehr leise.
Sie zuckt mit den Schultern.
«Ich suche keinen Ehemann.»
Ich nicke nur und weiß selbst nicht – zum Zeichen, dass ich verstanden habe, dass ich es gehört habe, oder zum Zeichen des Einverständnisses?
«Ich habe mich mit Steifer in deinem Café verabredet. Ist das weit?»
«Nein. Wir gehen zu Fuß, das Wetter ist schön.»
«Ich ziehe mich an.»
«Man hat mir gesagt, du wärst ein Morphinist.»
«Wer sagt das?»
«Die Leute.»
«Bin ich bestimmt auch.»
«Nein, bist du nicht. Ich kenne Morphinisten. Du hast seit mindestens vier Tagen kein Morphin genommen. Ein Morphinist würde zittern wie Espenlaub und alles tun, um an ein bisschen Rauschmittel zu kommen.»
Ich breite die Hände aus, soll heißen: Ich weiß nicht, ob ich ein Morphinist bin. Oder auch: Was kann ich dafür, was die Leute sagen? Oder: Denk, was du willst, ist mir egal.
Und ich gehe in mein Schlafzimmer.
Beim Binden der Krawatte schaue ich in den Spiegel.
Ich bin.
Ich bin Konstanty Willemann oder – Konstanty Willemann ist ich? Konstanty Willemann ist ich – das heißt, mein ganzes Sein erschöpft sich in Konstanty Willemann, während Ich bin Konstanty Willemann bedeutet, dass dies eine Rolle ist, die mein Ich spielt, das auch andere Seiten hat, die nicht Konstanty Willemann sind.
Ich knöpfe die Weste zu, ziehe die Jacke an. Noch einmal blicke ich in den Spiegel. Ich müsste zum Friseur, war lange nicht beim Haareschneiden. Das letzte Mal war noch in Uniform, vor der Kapitulation, vor fast einem Monat. Ich muss mir die Haare schneiden
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