Morphin
schwächer.
Und Steifer überlegt. Einen Moment lang. Kratzt sich das glattrasierte Kinn.
«Ich weiß!», ruft er. «Willemann, Konstanty. Unterleutnant der Reserve, Neuntes Ulanenregiment! Richtig erinnert?»
«Richtig …», stimme ich zu, unsicher, nackt, erschrocken. Ich reiche ihm die Hand, er drückt sie forsch, fest, kräftig. Ich mag diese forsche Art nicht, kann sie nicht ertragen.
«Na, das Gedächtnis jedenfalls funktioniert noch, trotz der fünfzig Jahre auf meinem Buckel. Aber Sie waren ein spezieller Fall, wir haben uns sofort für Sie interessiert, als Sie nach Grudziądz kamen. Im Grunde reine deutsche Abstammung, nicht?»
«Ich bin Pole.»
«Hören Sie! Was sagen Sie da! Sehe ich etwa wie ein Faschist aus? Ich heiße Steifer.»
«Und Mosdorf heißt Mosdorf, na und?»
«Na gut, schon gut. Dass Sie Pole sind, ist ja klar, aber auch egal. Wir haben uns jedenfalls schon lange für Sie interessiert, schade, dass Sie nicht Berufsoffizier werden wollten. Das ist auch ein Leben. Obwohl nicht so eins, wie Sie es hatten.»
«Oberst Steifer …», setze ich an, aber er fällt mir ins Wort.
«Ach gut, nehmen Sie’s mir nicht übel. Wichtig ist, dass Sie der richtige Mann am richtigen Ort sind, wenn auch wahrscheinlich durch Zufall, stimmt’s? Aber besser hätte ich mir das für Sie auch nicht ausdenken können.»
«Freut mich von Herzen», antworte ich bissig.
«Eins muss ich Sie noch fragen, bevor wir gleich zur Sache kommen. Ihr Vater, Baldur von Strachwitz …»
«Ist in Warschau», antworte ich, und als ich das sage, ist mir klar, dass ich lüge. Ich hätte es ihm sogar gern erklärt, aber Steifer lässt mich nicht.
«Ach, dann wissen Sie, dass er lebt? Denn Ihre Mutter hat das wohl vor Ihnen zu verheimlichen versucht?»
Was für eine Lüge, wie verlogen ist, dass ich gesagt habe, mein Vater sei in Warschau.
Baldur von Strachwitz ist in Warschau, Feldpolizeikommissar Baldur von Strachwitz ist in Warschau. Ist er nicht in Warschau? Wo ist Baldur von Strachwitz?
Das weißt du doch, Kostek. Aber ich muss schweigen, auch wenn das Schweigen über ihn schwerfällt. Baldur von Strachwitz ist auf den Feldern von Flandern geblieben, und von dort wird er nicht mehr zurückkehren. Den Rest weißt du.
Ich muss nicht lügen.
«Ich bin hier als Baldur von Strachwitz. Ich habe seine Uniform und seine Papiere. Die Spezis des Ingenieurs haben daran gebastelt, mein Foto eingeklebt, die besonderen Merkmale korrigiert …»
«Die Merkmale … ach, stimmt ja», erinnert sich Steifer.
«Und mein Vater …», fahre ich fort. «Nun, ich weiß nicht, was jetzt mit ihm ist. Er hat mir alles abgegeben. Seine Identität, seine Uniform, die mir genau passt, die Waffe, alles.»
«Glauben Sie, dass er …»
«Ich weiß es nicht», fahre ich ihm über den Mund.
Steifer nickt.
«Konstanty, der Himmel hat uns Sie geschickt. Der Himmel. Gehen wir ins Bad, im Dampf redet es sich besser.»
Also gehen wir, setzen uns in den weißen, heißen Wolken, setzen uns nebeneinander, breiten die Handtücher unter unsere Hintern.
«So passen die Dinge manchmal sogar in schlechten Zeiten zusammen. Sie sind zufällig auf den Ingenieur gestoßen, ich bin den Bolschewisten von einem Transport nach Kozielsk entwischt, und jetzt sitzen wir beide hier im Dampfbad in Budapest. Hätte ich in diesem Waggon – und das war so ein Viehwaggon –, hätte ich da geglaubt, dass ich eine Woche später in Budapest baden würde? Nein. Aber jetzt sitze ich hier und werde gebraucht.»
Von mir erwartet er nur, dass ich ihm beipflichte. So viel ist mir schon klar.
«Ich werde Ihnen eine Anekdote erzählen. Das Dampfbad ist ideal für Anekdoten. Ich bin also von diesem Transport geflohen, richtig?»
«Ja.»
«Genau genommen habe ich den Wärter unschädlich gemacht. Noch genauer hab ich ihn umgebracht. Hab ihm sein eigenes Bajonett in den Bauch gerammt, ihm das Gewehr abgenommen und bin abgehauen.»
«Ganz schön mutig», sage ich und bin gespannt, ob er das für sarkastisch halten wird.
«Eher ein Reflex, als plötzlich Gelegenheit war. Ich bin also geflohen, hab mich durchgeschlagen, bin hungrig übers Görgenyer Gebirge und am Ende in Királymezo gelandet, dort haben mich die Zänger geschnappt.»
«Die Gendarmen, ja?»
«Genau. Die wollen mich also entwaffnen und festsetzen, richtig? Darauf ich: Kommt nicht in Frage, ich fordere, dass man mich telefonieren lässt. Sie streiten eine Weile, behaupten, da hatten sie sogar recht, dass
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