Morphin
lassen. Ich werde hier in Budapest zu einem richtigen Friseur gehen, in einer richtigen Stadt, ich will mir nicht in Warschau die Frisur zurichten lassen; als ich mir das letzte Mal in Warschau die Haare schneiden ließ, hat die Stadt noch gelebt, hat noch gekämpft, im besiegten, vergewaltigten Warschau will ich mir nicht die Haare schneiden lassen.
Ich schaue in den Spiegel. Ich bin Konstanty Willemann und bin kein Morphinist. Ich bin Konstanty Willemann und befinde mich nicht in der Gewalt meiner Mutter. Ich bin Konstanty Willemann und befinde mich weder in der Gewalt meines Vaters noch seines Geistes, des Gespenstes, das über meiner Kindheit und Jugend schwebte. Ich rücke den Krawattenknoten zurecht, ziehe ihn etwas nach oben, damit er hübsch heraussteht, streiche die Falte glatt. Ich bin Konstanty Willemann, und keine Frau herrscht über mich. Ich bin Konstanty Willemann und niemandem zu Diensten. Ich bin Konstanty Willemann und diene weder Polen noch den Deutschen, weder Gott noch dem Teufel, ich diene niemandem. Ich bin Konstanty Willemann und kein Soldat, bin kein Offizier. Ich bin nicht gut. Ich bin nicht böse. Ich bin Konstanty Willemann.
Ich gehe zu Dzidzia, wir verlassen das Hotel, es ist der fünfundzwanzigste Oktober, aber noch warm, deshalb trage ich den Mantel über der linken Schulter, habe einen Tweed-Anzug an, einen brauen Fedora schief auf dem Kopf, den rechten Arm reiche ich Dzidzia, in der einen Tasche die Pistole, in der anderen Geld, wir spazieren über die Franz-Josef-Brücke, die Oktobersonne scheint, und ich bin glücklich und ruhig. Ich möchte heute gern an der frischen Luft zu Abend essen, eine Decke über den Knien, Wein trinken und eine fette Ente essen, beim Blick auf die Donau.
Ich bin glücklich. Ich lebe.
Hinter der Brücke biegen wir nach links in die Veres Pálné utca ab und gehen durch Pest, schon das zweite Auto mit polnischen Kennzeichen fährt an uns vorbei, Menschen gehen vorüber, ganz unterschiedliche, reiche und arme, Geschäfte und Cafés sind geöffnet, und wir gehen, schön gekleidet, Arm in Arm, und die Leute sehen uns und denken: Was für ein fesches, hübsches Paar, dieser schlanke, große Mann mit dem Fedora und diese schlanke Frau mit Hütchen, wie sie da untergehakt gehen, gar nicht wie ein Ehepaar, sondern einfach wie zwei Menschen, die einander nahe sind.
Wir erreichen die Iranyistraße, an der Ecke das Café, in das wir wollen, wir setzen uns, der Saal ist geräumig und traditionell, ganz anders als das Ziemiańska, hohe Decke und Art Nouveau und eine blitzende Spiegelbar und eine Galerie mit leicht separierten Tischchen und überhaupt alles, was ein Café haben sollte, Zeitungen an hölzernen Haltern.
Wir setzen uns nah an die Fensterfront, das Straßenleben treibt zum Greifen nah vorüber, Steifer ist noch nicht da, also bestellen wir auf Deutsch: Cappuccino, Rührei, Brot, Weißwein, Wasser, wir breiten die Servietten über die Knie, trinken Kaffee und Wein, sprechen über nichts, es gibt keinen Krieg, keine gebrochenen Herzen, keine unerfüllten Lieben, keine ermordeten Menschen, keine getöteten Städte, keine verwaisten Kinder, keine kleinen Zigeunerkinder, denen der Wasserkrebs das Gesicht wegfrisst, es gibt meinen Vater nicht, dem der Krieg das Gesicht und die Männlichkeit aufgefressen hat, nicht meine Mutter, die verrückt ist und einsam, keine entsetzten, verzweifelten Menschen, keine bösen Menschen und auch nicht die noch schlimmeren, die guten.
Nur wir sind da, Dzidzia und ich, Frau und Mann, wir haben nicht miteinander geschlafen, obwohl wir es hätten tun können, wir essen Rührei mit Paprika, Zwiebeln und Salamischeiben, beißen dazu in Weißbrot und trinken Cappuccino, die auf den Lippen einen weißen Schnurrbart hinterlassen, wir wischen uns den Mund und trinken Grünen Veltliner, bis es leicht summt im Kopf vom guten morgendlichen Rausch, wir lächeln uns an und sind zusammen, auch wenn wir uns bald trennen werden.
Wir haben gegessen, rauchen Zigaretten und bestellen Wein nach und sitzen uns gegenüber, und es ist gut, einfach gut, ich bin glücklich und ruhig.
Ich bin Konstanty Willemann.
Und dann kommt Oberst Steifer im hellen, über den schicken Zweireiher geworfenen Trenchcoat und setzt sich zu uns an den Tisch, klopft mit der Zigarette auf die Zigarettendose, bestellt Wein, und wir rauchen zusammen und trinken, wechseln nur banale Bemerkungen über das Wetter, das sehr schön ist, und die Sonne fällt durch die
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