Morphin
gehe nackt herum, wie alle hier, und denke an die Frauen, an meine Frauen.
Ich habe mich verändert: Ich denke ohne Schuld und ohne Scham an sie. Warum? Ich weiß nicht. Schließlich ist der körperliche, erotische Schmutz meiner Verbindung mit Salomé nicht gereinigt, das bleibt schmutzig. Doch gleichzeitig sehe ich mich selbst anders, von oben, aus der Entfernung, als hinge ich unter der Glaskuppel des Bades und schaute auf mich herab, wie ich da ins heiße, mineralische Wasser tauche, in dem ich eher hänge, gewichtslos schwebe, statt zu sitzen.
Umgeben bin ich von nackten Greisen, die ihre Scham mit Schürzchen bedecken, und selbst wenn ich wüsste, wo man so ein Schürzchen bekommt, würde ich es nicht anlegen, die Schürzchen kommen mir greisenhaft vor, genau richtig für diese Pimmelchen, die zu nichts mehr als zum Pinkeln taugen, runzlige, unfähige, abgestorbene Pimmel – während sie zugleich die nackten Greisengesäße frei lassen.
Und es sind gebrechliche Greise, die gerade noch schlurfen können, Greise mit bleichen Körpern, die Hände zittern ihnen, aus Erinnerung an all jene überflüssigen Tätigkeiten, denen sie sich im Leben gewidmet haben. Langsam und vorsichtig steigen sie in die Becken, welch eine Erleichterung, wenn das warme Wasser ihre Greisenleiber trägt, die sich selbst nicht mehr tragen wollen; Greise eingetaucht bis zu den zitternden Kiefern, auf dem grünen Wasser Kreise von ihrem Zittern.
Dort sind auch Alte, die noch nicht so greisenhaft daherkommen, das Entsetzen vor dem heraufziehenden Alter aber schon spüren, rüstige Greise, die ihre verkümmernde Brust herausstrecken und den trotz regelmäßiger Gymnastik erschlaffenden Bauch einziehen, und als ich ihre Körper betrachte, bin ich ihr Bruder, auch wenn sie Ungarn sind oder etwas anderes, Deutsch höre ich auch reden, alle Nackten hier sind meine Brüder.
Auch Jünglinge sind hier, Männer in mittleren Jahren und angealterte, schließlich ein paar jener Männer, deren Leib das Alter nicht recht zu fassen bekommt, die sowohl dreißig wie fünfzig Jahre sein können. Da sind auch Männer mit den schönen Körpern von Kriegern, die Brust umwölbt von mächtigen Rippenbögen, Sportler mit biegsamen, schnellen Leibern, Jünglinge mit Spinnengliedern und eingesunkenen Brustkörben, Fettsäcke sind da und schwammig Beleibte, Greise, die ihrer vergangenen Schönheit nachsinnen und Greise, die sich freuen über die egalitäre Hässlichkeit des Alters. Und alle sind sie ruhig, nackt, still und auf sich konzentriert, auf die eigenen Leiber im warmen Wasser und im Dampf, sogar wenn sie in Gruppen sind, sie alle treiben feierlich im warmen Wasser, wie Medusen, vernarrt in den Anblick der eigenen Zehen.
Und da ist mein Körper, mager, nicht besonders schön, weil wenig athletisch, mit dem üblichen Bauch eines Dreißigjährigen, gerade noch so, dass der Anzug sitzt, wenig Muskeln, wenig helles Haar, das Glied weder groß noch klein, normal. Lange hatte ich mich für diesen nichtssagenden Körper geschämt, noch lange nach Iga, hatte mit Gewichten herumhantiert, damit mir ein paar Muskeln wüchsen, aß viel, um männlicher zu werden, wollte sogar Sport treiben, doch nichts veränderte sich, sodass ich am Ende schon zufrieden war, dass ich wenigstens nicht dicker wurde.
«Guten Tag», sagt jemand hinter meinem Rücken, sagt das ganz einfach.
Ich rudere mit den Armen und drehe mich mit meinem ganzen nackten Körper im Wasser um.
Über mir, am Beckenrand, steht ein nicht sehr großer, hagerer Mann um die fünfzig. Ein ansehnlicher, dicker Schwanz im Gewöll schwarzer Schamhaare. Das Haupthaar ebenfalls dunkel, ein Offiziersschnauzer, das üppige Brusthaar angegraut, es wird nun unsichtbar, als er eintaucht.
«Verschwörung hin, Verschwörung her, Manieren müssen sein», erklärt er. «Steifer mein Name. Aber – Augenblick mal, stellen Sie sich nicht vor, gleich fällt es mir ein, ich kenne Sie …», sagt er und mustert mich eindringlich.
Ich bin durcheinander, kann das Erkennen nicht erwidern, was Steifer bemerkt und lachend erklärt:
«Ach nein, doch nicht persönlich. Aus den Akten.»
«Den Akten?», wundere ich mich und schaudere leicht.
Was schaudert da in mir? Dasselbe, was schauderte, als Leutnant Żabiński sagte: Ich kenne Euch, Willemann – und mich tatsächlich kannte und alles verstehen, alles voraussehen, mich durchschauen konnte, durch und durch, auf einen Blick?
Genau das erschaudert in mir, doch viel
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