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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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hier in den paar Tagen auf der Basis des Vorkriegsnetzes auf die Beine gestellt habe, im Lichte Ihrer Möglichkeiten eher als Ersatzverbindung wichtig, als Reserve, wenn wir uns richtig verstehen.»
    «Natürlich, Herr Oberst», erwidere ich und schaue durchs Fenster. Natürlich.
    «Und wissen Sie, wie man uns in Paris nennt?»
    «Wie?»
    «Die Fledermäuse!», brüllt er und lacht sehr laut los, und ich weiß nicht einmal, wen er mit «uns» meinte. Aber das ist bedeutungslos. Wenn sie wollen, werde ich fahren. Budapest ist eine helle, freie Stadt, warum soll ich nicht wieder nach Budapest zurückkommen, das, was sie Dienst nennen, wird mich schon nicht verrückt machen. Ich bin Konstanty Willemann, wenn sie wollen, fahre ich, warum nicht.
    «Ich hätte gern die Schlüssel und alle Papiere für das Fahrzeug. Ich werde es sowieso hier anzumelden versuchen, damit es nicht auffällt, aber ohne polnische Papiere wird das schwieriger.»
    «Fräulein Rochacewicz bleibt in Budapest», antworte ich. «Sie wird Ihnen alles geben. Im Kofferraum ist eine Maschinenpistole, machen Sie damit, was Sie wollen, ich werde sie ja nicht mit in den Zug nehmen.»
    Aber die Maschinenpistole meines Vaters interessiert Steifer überhaupt nicht. Er streicht seinen Schnurrbart glatt, beugt sich über den Tisch und beißt sich kurz auf die Lippen.
    «Ach, Sie fahren also ganz allein nach Warschau zurück, Konstanty … Und das Fräulein bleibt hier, ja? Allein, ganz allein?», sagt er halb zu uns, halb zu sich selbst, seine Augen ruhen nachdenklich auf der Tapete.
    Mein Blick und Dzidzias treffen sich über dem Tisch, und ihr fast unmerkliches, sofort wieder verschwundenes Lächeln, der kaum angehobene Mundwinkel genügt mir als Beruhigung, als Erklärung, als Erniedrigung Steifers, gegen den ich ansonsten gar keine Abneigung verspürte – genügt mir für alles.
    Und ich verstehe: Wir würden uns in Warschau wiedersehen und etwas würde zwischen uns passieren, was, das wusste ich noch nicht, aber eine unstrittige erotische Anziehungskraft webt hier ihre Fäden, dennoch wird es keine banale Affäre werden, so wie ich sie früher hatte, denn ich bin jetzt ein anderer Mensch, ein völlig anderer. Etwas wird geschehen; und ich werde zu Helena zurückkehren, die mich überhaupt nicht liebt, aber das macht nichts; ich habe ihr ja auch nie Grund gegeben, mich zu lieben, ich werde zu Jureczek zurückkehren und ihm vielleicht irgendwann ein Vater sein können.
    Und dann wird Dzidzia nach Warschau kommen, und etwas wird geschehen, und nichts wird geschehen, also kann ich sie hier ruhig mit Oberst Steifer und seinem schwarzen, womöglich geschwärzten Schnurrbart zurücklassen, denn ich lasse sie zu seiner sicheren Niederlage und Demütigung zurück, kehre heim nach Warschau wie ein Heerführer nach siegreicher Schlacht, der die Verfolgung des Feindes und das Niedermetzeln beaufsichtigen muss.
    Ich lasse die Rasierseife Marke Truefitt & Hill in die Manteltasche gleiten. Nicht in die Jacke, die würde davon ausbeulen. In den Mantel.
    Steifer sitzt noch eine Weile, sieht mal Dzidzia, dann wieder mich an, unsicher in dieser Situation, ein schöner Triumph für mich.
    Denn natürlich ist er unvergleichlich viel größer als ich. Stärker, besser, klüger. Zum Teil, weil er älter ist, überlegen wie ein alter Löwe dem jungen, denn vor allem war er mir durch das überlegen, was er getan, was er erreicht hatte: Oberst, Berufsoffizier der wirklichen Aufklärung, früher zudem k. u. k. Offizier, Bartha und alles andere – wer war ich vor so einem Mann, wer bin ich?
    Ich bin Konstanty Willemann, und das ist schon etwas, aber immer noch zu wenig, um mich mit so einem Oberst Steifer zu messen.
    Ihm gegenüber bin ich ein Niemand. Mit einem Niemand aber hätte Steifer weder am Tisch gesessen noch im Dampfbad, ich war offenbar jemand, aber jemand Geringeres, denn er ist Oberst Steifer und vermag viel, er darf zum Beispiel mein Auto verlangen, und ich bin Unterleutnant der Reserve Willemann, und mir bleibt nur das gehorsame Einverständnis, mehr vermag ich nicht.
    Schlimm ist das nicht, nicht schrecklich, nicht das sind die Abgründe der Erniedrigung. Das tut nicht weh. Es kommt ohnehin so gut wie gar nicht vor, dass man mit jemandem auf genau der gleichen Augenhöhe am Tisch sitzt. Zwischen Freunden vielleicht, zwischen sehr guten, und auch das ist selten. Also nicht schlimm.
    Ich bin Konstanty Willemann und fertig, mehr nicht. In der Hierarchie unserer

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