Morphin
Kristallfenster des Cafés auf unseren Tisch. Ich sitze so, rauche und nippe am Wein, und da wird mir erst bewusst, dass Steifer schon eine ganze Weile redet:
«… denn, wie gesagt, dieses Konsulat verfolgt natürlich seine eigenen Ziele, expediert sie nach Frankreich oder sonst wohin und versucht, die richtigen Bedingungen zu schaffen. Aber nicht darum geht es uns.»
«Worum dann?», frage ich geistesabwesend, aber Steifer hört nicht zu, denn er hat eine höfliche, dabei sanft spöttische Bemerkung von Dzidzia als echtes Interesse missdeutet – Interesse womöglich nicht nur an seinen Worten, sondern an seiner Person.
«Also darum geht es uns nicht. Das ist natürlich wichtig, was Emisarski macht, und sehr gut, dass er es macht, aber beim Honvéd-Ministerium ist jetzt Dembiński, der ist nämlich ein alter k. u. k. Offizier, und sie hoffen, dass er sich mit dem Honvéd einigen kann. Aber ich bin auch ein alter k. u. k. Offizier, er ist älter, schon richtig, aber ich werde den Kerl da ohne Probleme rauskriegen. Dass ich Leutnant war und er Major, ist das eine, dass ich mit Bartha befreundet bin, das andere, außerdem können die Deutschen ihn nicht leiden, gemeinsam mit Bartha werde ich das hübsch deichseln, dass ich an seine Stelle komme, obwohl diese Blödmänner noch nicht einmal wissen, dass ich schon in Budapest bin, und zwar nicht, um ihnen zu dienen, denn die sind doch jetzt blutdürstig, dieser ganze Sikorski und der Rest, sollen die mal ihr Ding tun und ich meins. Mich werden sie nicht anrühren, denn Rydz ist, wie er ist, aber einen anderen haben wir nun mal nicht, wir müssen auf ihn setzen. Und auf die Deutschen.»
«Was meinen Sie?», fragt Dzidzia. Einen Augenblick lang denke ich, sie stellt diese Frage, wie es Teresa Łubieńska täte – eine Frage, auf die bei falscher Antwort sofort das furchtbare Wort «Verrat» fällt. Aber dann ist mir klar: Dzidzia wäre gar nicht imstande, auf diese Weise zu fragen.
«Werte Dame. Das ist doch klar. Man muss sich mit ihnen einigen. Glauben Sie, die Franzosen marschieren für uns gegen Berlin? Niemals. Und in Polen muss schließlich etwas entstehen, eine ganz neue Form. Da kann ja jetzt nicht einfach ein großes schwarzes Loch bleiben. Dreißig Millionen Polen können sie nicht einfach so zu Deutschen machen, nicht mal zu Reichsangehörigen. Andere Zeiten. Man muss da was machen. Irgendein Polen muss es geben. Oder wenigstens ein Großfürstentum Warschau.»
«Hundertzwanzig Jahre lang hat es weder Polen noch ein Großfürstentum gegeben», stelle ich bitter fest.
«Aber wenn es nun schon mal entstanden ist, wird es nicht so einfach wieder verschwinden. Etwas hat sich in den letzten zwanzig Jahren ja schon bewegt, meinen Sie nicht?»
«Schon. Aber ich sehe auch, was sich in den letzten zwei Monaten bewegt hat.»
«Gut. Das sind so strategische Erörterungen, die mögen wichtig sein, sind aber jetzt nicht am allerwichtigsten. Richtig?»
Ich stimme zu und schalte wieder ab. Ich rauche. Wende mich sogar zum Schaufenster, betrachte die Fußgänger, die Autos und Radfahrer draußen. Steifer redet weiter, aber ich höre nicht zu. Er langweilt mich. Dzidzia tritt mir unter dem Tisch ans Bein.
«Hier haben Sie also die gesammelten Verfahrensregeln für unseren Kurierverkehr», sagt Steifer und schiebt mir ein Stück Rasierseife der Marke Truefitt & Hill zu.
«Ich habe diesen Bericht geschrieben und ihn auf Mikrofilm gebracht.»
«Der Ingenieur weiß, was er damit zu tun hat, nehme ich an?», frage ich.
«Haben Sie mir überhaupt zugehört?», fragt er plötzlich verärgert.
«Natürlich, Oberst.»
«Er wird es wissen. Das sind, wie gesagt, die Regeln für die gesamte Kommunikation. Kurierstrecken, Harmonogramme der Übergänge, Kontaktstellen und Verteilungspunkte, in Krakau, Żylin und in Podhale, in Nowy Targ, Baligród und Sanok, völlig unabhängig von den Strecken und Kurieren, die die Sikorskileute organisieren, denn Unabhängigkeit ist uns in diesem Fall sogar wichtiger als Zuverlässigkeit, richtig?»
«Richtig», bestätige ich mit großer Überzeugung, ohne zu wissen, warum.
«Bleibt die Geldfrage, aber das wird, glaube ich, der Ingenieur regeln.»
«Ganz sicher», beruhigt Dzidzia.
«Außerdem bin ich überzeugt, Konstanty, dass Sie den Großteil des Transfers von Mitteln, Menschen und Informationen zwischen der Zentrale in Warschau und Budapest sowieso auf üblichen Wegen hinbekommen, richtig? Im Grunde ist all das, was ich
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