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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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Missgriff, ich selbst zu sein, auf mir lastet, für die Taktlosigkeit meiner Geburt, die Peinlichkeit, dass ich immer noch lebe, statt mich selbst zu erschießen oder mich von den Deutschen erschießen zu lassen und durch den Tod ein eleganter Mensch zu werden. Salomé kennt keine Scham, aber sie kennt das Raffinierte und weiß es vom Flegelhaften zu unterscheiden. Kinder gebären ist eine Flegelei. Salomé würde keine Kinder gebären. Mit ihren Blicken, ihrem – für ihn – gütigen Gesicht, hat sie den Hermann mit zwei «n» belogen. Belogen mit ihren Locken, ihren Kleidern und ihrem gedankenverlorenen Blick bei der Lektüre, Salomé ist nicht so.
    Also die nächste Mappe. Unbetitelt.
    Ich öffne sie, wieder Fotos. Ich ziehe das erste heraus und stecke es sofort zurück. Doch die Neugier besiegt die Angst. Schließlich ist der Mensch nur deshalb Mensch, weil die Neugier über die Angst triumphiert.
    Salomé, splitternackt. Pornographische Fotos, aber nicht nur zur Stimulation gemacht. In einem Studio. Salomé und Männer. Viele Männer. Salomé und Frauen, die ihr ähneln. Eine Serie von Aufnahmen in einem eigenen Umschlag, «Dionysien» beschriftet. Ein Zicklein, nackte Frauen, bekränzt mit Weinlaub, halten es an den Beinen, am Kopf, das nächste Foto, man meint fast das Gekreisch des gequälten Tieres zu hören, was für ein Laut, was für ein Schrei der Verzweiflung kommt aus der Kehle einer gequälten, gemordeten Ziege? Das weiß Kostek nicht, aber irgendein Schreien geht von diesem Abzug aus. Das Gebrüll des Zickleins und das Heulen der nackten Frauen. Nächstes Foto, das Zicklein bereits zerrissen, Salomé mit einer Halskette von herausgerissenem Ziegengedärm, die nackten, besudelten Frauen verzehren rohes Fleisch, reißen es mit den Zähnen von den Knochen. Dann die Geißelung: nackte Männer peitschen die Frauen aus. Doch nicht so wie in den pornographischen Geschichten aus dem Leben des englischen Adels, keine Strafe, nicht einmal gespielt, niemand und nichts hemmt diese Frauen, sie selbst recken Rücken und Hintern den Hieben entgegen, diese Backen suchen die Peitsche, als trüge der Schmerz zur Ekstase bei, die sich auf ihren Gesichtern abzeichnet. Dann die Kopulation.
    Gesichter. Auf einem der Fotos sehe ich das Gesicht von Iga Rostańska. Das Blut des Zickleins.
    Ich will die Mappen, in denen unterschiedliche Salomés wohnen, nicht weiter ansehen.
    «Du hast meine Mappen angeguckt», sagt Salomé.
    Wie ist sie zurück, seit wann, er hat weder auf die Wanduhr noch die Armbanduhr geschaut, die Mappen liegen geschlossen wieder an ihrem Platz, wann hat er sie zurückgelegt, wann hat er sie geordnet? Ich weiß es nicht. Er weiß es nicht, hat es vergessen. Er weiß nicht einmal, wie er an den Tisch gekommen ist, an den Platz des Fetten, er sitzt da und betastet sein geschwollenes Gesicht.
    Wie viel Zeit ist vergangen? Ich weiß nicht. Draußen dämmert es. Iga. Iga Rostańska auf dem Foto zusammen mit Salomé.
    «Kennst du Iga Rostańska?»
    Denn das kann ja eine Spur sein, kann der Suche eine Richtung geben, wenn sie auf solchen Orgien bei Salomé war, auf Orgien, die zudem jemand gestellt und fotografiert hat. Soll er Jacek das sagen, würde er so etwas über die eigene Frau erfahren wollen? Und das auch noch von mir, den Iga unverwischbar in sich trägt, als ein vom ehemaligen Liebhaber gesetztes Mal, kann ich ihm sagen, dass ich Iga auf der Fotografie gesehen habe, nackt, mit den Zähnen das Fleisch der kleinen Ziege zerreißend, entfesselt, blutverschmiert, tierisch kopulierend mit Männern und Frauen? Von mir darf er das nicht erfahren. Aber ich sollte diese Spur aufnehmen, diesen Faden ergreifen, Jacek muss das nicht wissen. Deshalb frage ich ein zweites Mal: «Kennst du Iga Rostańska?»
    Salomé antwortet nicht. Sie holt dafür ein braunes Fläschchen aus dem Korb. Es ist voll. Gebe Gott, voll mit flüssigem Morphin, gebe Gott, das werden an die dreißig, vielleicht vierzig Räusche sein, Taumel, Reisen ins Vergessen!
    «Was ist das?», frage ich.
    «Morphin», antwortet Salomé. Sie reicht mir das Fläschchen, darauf ein braunes Apothekeretikett, das ist mein flüssiges Gold, das Fläschchen enthält eine Lösung von zwei Gramm Morphinum, sparsam verwendet, versinkt man davon zwanzigmal ins warme Nichts. Doch plötzlich hellste Wachsamkeit.
    «Wie viel hat das gekostet?»
    «Hundert Złoty habe ich bezahlt», sagt sie und gibt mir zweihundert zurück.
    Wärme und Fröhlichkeit verkümmern

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