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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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sofort. Hundert Złoty! Hundert Złoty, die meiner Hela gehören, meinem Jureczek, Geld, das ich für ihr Glück tauschen, mit dem ich ihr Schicksal verbessern sollte, hundert Złoty, eingetauscht für ein Fläschchen meines warmen Vergnügens, meines schönen Lebens, meiner kleinen, karamellbraunen Freude.
    «Du lügst, du Schlampe!», brülle ich, und sofort durchzuckt Schmerz mein geschwollenes Gesicht. «Höchstens fünfzig hat sie kosten können, den Rest hast du gestohlen!»
    Und sie lacht. Ich gehe wütend in die Küche, will den Rest des Geldes in das Portemonnaie stecken, das in der Aktentasche ist, neben dem Paket, das ich zu Frau Łubieńska bringen soll, zum Erlöserplatz.
    Doch die Aktentasche ist nicht mehr in der Küche.

Kapitel drei
    D ie Tasche ist weg.
    Meine Aktentasche ist weg. Ich stehe in der schmuddeligen Küche meiner Salomé, in einer Küche, die keinen Essensgeruch kennt, denn Salomé kocht kaum, in einer Küche also, die die Berührung neugieriger, auf der Suche nach Süßigkeiten die Anrichte liebkosender Kinderfinger nicht kennt, denn Salomé hat keine Kinder. Auf dem Stuhl hat meine Aktentasche gelegen.
    Wird er ohnmächtig? Er wird nicht ohnmächtig. Doch etwas dringt vom Boden her durch, in dünnen Rinnsalen, durch Pantoffeln und Socken, durch die feine Haut zwischen den Zehen, sein Körper saugt es auf wie ein Kapillargefäß: Die Angst dringt in ihn ein. In den Adern, in den Beinen verbinden die Rinnsale sich und verdicken sich im Schwarz, klettern höher, durch Schenkel und Leisten, in die Bauchhöhle, dringen als dicke Tentakel durch die Därme und finden den Magen, umschlingen ihn, und jetzt spürt er, wie die furchtbare Schlinge der Angst den Magen einschnürt.
    Größere Angst als vor dem Tod, als damals die Angst vor den Kugeln. Grausame Angst. Im Wald zwischen Grabina und Roztoka, aufs Septemberlaub gepresst, und hundert Meter hinter ihnen, hinter uns, tauchen zwei Panzer auf, von der falschen Seite, auf der anderen Seite sollten sie auftauchen, und bespeien uns aus Automatikkanonen und Maschinengewehren, rings um uns ploppen kleine Krater des Todes auf, Bäume splittern, und Wachtmeister Kołodziejczak verlegt im Galopp unseren Bofors, ich schmiege das Gesicht ans Laub und fürchte mich, aber lange nicht so wie jetzt. Wovor hatte ich damals denn Angst? Vor dem Schmerz? Dem Sterben? Dem Verschwinden? Wovor?
    Der Oberst schreit Befehle, einen nach dem anderen, ein guter Kommandeur, die Befehle sind klar, einfach, unter so einem Kommandeur kämpft man gern, vertraut ihm, glaubt ihm. Man kann sterben unter ihm, denn es ist klar, dass der Tod dann für etwas gut ist.
    Und nicht fürs Vaterland. Vaterland ist Blödsinn, jetzt, nach dem verlorenen Krieg, haben das schon alle fast wieder vergessen, nur ich nicht, Vaterland ist Blödsinn, ich habe mir das gemerkt, aber ich war bereit zu sterben, denn damals begriff ich den Tod.
    Eine seltsame Zeit war das damals, in unserer traurigen und schmerzlichen Septembereskapade, auf diesem unserem gotteserbärmlichen Kampfweg, als wir durch die Wälder robbten, nicht zerschlagen waren, aber auch keinen feindlichen Verband mehr bedrohen konnten, keine Feuerkraft, wie Oberst Rudnicki sagte, da zu wenig Artillerie. Die Pferdehalter standen nicht in einer Linie, Manneskraft wurde verschleudert. All das erklärte er uns an jenen seltsamen Tagen, die die Kapitulation in Warschau umgaben, Tagen zwischen Krieg und Nichtkrieg – Nichtkrieg, der auch ein Nichtfrieden war. Aber auf mich schoss niemand mehr. Jetzt schießt auch niemand auf mich. Doch noch schlimmer, als wenn sie schießen würden, ist, dass ich die Aktentasche verloren habe.
    Bevor das alles begann, war ich zum Tode bereit. Seit ich in den Sonderzug gestiegen war, mein Gestellungsbefehl ohne roten Streifen, Jahrgang 1909 , Hauptregisternummer der Karte, Waffengattung: Kavallerie, Dienstgrad: Leutnant, Zuname, Vorname, Vornamen der Eltern: Katarzyna, Baldur, wurde dem Neunten Regiment der kleinpolnischen Ulanen in Trembowla zugeteilt, Reisebefehl: siehe Rückseite, der Eingezogene hat jederzeit Anspruch auf kostenlose Zugfahrt.
    Hela auf dem Bahnsteig mit Jureczek, das war wohl der glücklichste Augenblick ihres Lebens, ihr Ehemann, Pole und Offizier, so schön, die Kragenkordel schnürt ihm die Kehle zu, da stieg er ein, der Ulan, da fuhr er hin im Zug zum Krieg. Fallen kann der Ulan oder einen Orden nach Hause bringen. Sie träumte vom schwarz-blauen Bändchen des Virtuti, das gab es

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