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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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für ihn nicht, aber als er zurückkam, wusste sie, dass es das amarant-weiße Bändchen des Tapferkeitsordens gegeben hatte, sie wollte lieber den Virtuti. Damals notierte Hela sich im Gedächtnis jede Sekunde dieser Begegnung, die kleine Uhr an ihrem Handgelenk zählte die Sekunden, und Hela schrieb mit in Gedanken, später in ihrem kleinen Tagebüchlein. Mit schmalen, eleganten Buchstaben wird sie geschrieben haben, wie sie heute Kostek verabschiedet hat, auch von ihrer inneren Zerrissenheit, einerseits die Liebe, andererseits Polen, dass sie mich gern dabehalten hätte, aber Polen überlassen musste. Dann hat sie das Büchlein geschlossen, ihren Füllfederhalter Marke Pelikan aus grünem Bakelit zugedreht und ihre weiß-grünen Augen geschlossen. Das helle Fenster hat durch die Lider geleuchtet, und sie hat sich selbst gespürt, so zufrieden von ihrem Drama, so glücklich mit sich als Polin, dass ihr reiner Schoß Polen den kleinen Jureczek schenkte und ihr reines Herz mich Polen gegeben hat. Sie war schon jetzt in diesem Augenblick bereit, eine schöne schwarze Witwe mit strengem Gesicht zu werden, falls schwarze, deutsche Vögel auf den Zug herabstoßen sollten, der mich nach Trembowla bringt, so wie sie auf Guernica hinabgestoßen sind. So glücklich in diesem Entsetzen und wahrhaft entsetzt und wahrhaft glücklich, dass ich umkommen könnte, dass sie allein bleiben könnte, deshalb stand sie auf dem Bahnsteig und weinte, jede ihrer Tränen wie ein Diamant. Wie ein Bohrkopf.
    Ich verspürte da keinen Hass auf sie; sie war mir gleichgültig. Leid tat es mir nur um Jureczek, ich wusste, wie sie ihn erziehen würde, wenn ich falle. Aber genauso würde sie ihn erziehen, wenn ich nicht fiele. Um Jureczek war es ohnehin geschehen.
    Und wann habe ich aufgehört, in ihrem Gesicht sie selbst zu sehen, nur mehr das Posener Gesicht meines Schwiegervaters und die polnischen Pflichten?
    So war ich bereit für den Tod. Mich kümmerte nichts.
    Ich stieg in Trembowla aus, lachte mit einigen Zugbekanntschaften, Ulanen, dass wir ausgerechnet am Tag des Regimentsfest eintrafen, es war ja der 31 . August. Genau ein Jahr zuvor, am 31 . August, war ich in Trembowla gewesen, mit Frau und Jureczek zum Regimentsfest, wie stolz sie damals war auf ihren Leutnant! Außer Hela sahen mich alle nur als Zivilisten in Uniform, niemand machte mir Vorwürfe, schließlich war ich damals nur Reservist. Und vor gut einem Monat wurde ich, Kostek, gescheiterter Künstler, Reservist, mobilisiert und marschierte in die Kaserne, bekam meine Order und war zum Tode bereit: damals, als das Regiment zwölf Stunden später den Zug bestieg und als wir am ersten September bei Nekla ankamen, unweit von Posen, nach einer Fahrt durch ganz Polen.
    Ich sah mich damals nicht als Offizier oder Patriot, der fürs Vaterland zu sterben bereit war, ich empfand mich als ein Blatt, das vom Strom getragen wird. Da war eine Lust, nicht selbst denken zu müssen. Die Geschichte trug mich, ich war ein Teilchen von ihr, ein Wassermolekül in einem Strom, der plötzlich über die Felsenschwelle nach unten stürzte. Wenn ich mein Gesicht ins Gras schmiegte, schmiegte die Armia Poznań ihr Gesicht ins Gras. Wenn auf mich geschossen wurde, schoss man auf General Kutrzeba, und wenn auf Kutrzeba geschossen wurde, schoss man auf Polen. Ich war Masse, Menschenmasse.
    Jetzt hatte ich eine andere Art von Angst. Warum sollte ich damals Angst haben – weil sie mir das Tapferkeitskreuz posthum nicht verleihen könnten? Um Helas Schicksal als Witwe und das meines Sohnes als Waisenkind? In Ruhm und Ehre wären sie geschritten, der Kleine würde aufwachsen in der Wärme des Vaters, der tot mehr taugt als lebendig.
    Denn was bin ich ihm für ein Vater gewesen als Lebender?
    Besser wäre ich damals gestorben. Glücklich die, die in der Hölle sind, sie müssen an der Welt nicht mehr leiden.
    Besser, ich wäre damals gestorben.
    Aber ich bin es nicht. Und jetzt das Paket für die Łubieńska verloren, was konnte darin sein, Geld bestimmt, das nun verschwunden ist.
    Klar, was sie denken werden: dass ich gestohlen habe. Wer sonst sollte stehlen? Hela: Lippen zusammengebissen und Schenkel stramm und raus mit dir. Jureczek versteht nichts. Der Posener Schwiegervater und Nationaldemokrat zischt: Hängen solltest und wirst du, niederträchtiger Hund, Nichtsnutz, Verräter. Alles verloren. Gestohlen hat er’s, für Schlampen und Drogen verprasst. Gelegenheitsdieb, dabei hatten sie so an ihn

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