Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
Vom Netzwerk:
geglaubt und ihm erlaubt, Pole zu sein, waren stolz, dass er Pole sein will, und er stiehlt das Paket für die Łubieńska, Schweinehund der, Dreckshund.
    Das fühllose Gesicht schmerzt nun weniger. Der Schmerz vergeht, alles vergeht. Sogar Salomé vergeht. Was bleibt?
    Die Scham. Die Konsequenzen. Lippen zusammengebissen.
    Wann hat das angefangen, fragt er sich, wann?
    Wann ist er zu dem Menschen geworden, der er ist? Schlechter oder nicht schlechter? Was für einer bin ich, wer bin ich, was geschieht mit mir?
    Er steht da wie ein Trottel, mit zerhauenem Gesicht in Salomés Küche, starrt auf die schmerzlich leere Stelle auf dem Stuhl, dort, wo er die Tasche hingelegt hat, und starrt weiter in hektisch sinnloser Suche: unter den Tisch, die Anrichte, in den bläulich angelaufenen Kopf schießt bei jedem Bücken das Blut und pulsiert schmerzend. Dabei weiß er doch, dass sie nicht da ist. Weg und fertig.
    «Er hat sie mitgenommen, Kostia», sagt Salomé.
    Also ist es passiert. Wovor ich ein ganzes Leben weggelaufen bin, wovor ich mich verstecken wollte und was ich fürchtete: Ich habe mich selbst durchgestrichen. In ihren Augen. Unwürdig bin ich! Der Kugel und dem Wort «Feigling» bin ich entkommen, entkommen auch den Worten «Renegat» und «Nicht-Pole». Das gefiel mir sogar am Polentum, dass man so leicht dahin befördert, so leicht Pole wird, sie nehmen jeden. Ihrem Polentum schmeichelt jeder Deutsche, der Pole werden wollte, denn insgeheim verachten sie sich selbst, verachten wir uns, und dennoch bin ich Pole geworden.
    Und jetzt habe ich das mir anvertraute Paket verloren. Durch eine Frau? Durch mein Blut? Oder weil ich Polens nicht würdig bin?
    Wann ist das passiert? Wann ist Konstanty Willemann vom netten, anständigen Jungen zum Konstanty Mistkerl, wann ist er zynisch geworden? Denn das hat mich doch hierhergeführt, in die Wohnung dieser zügellosen Hure, in der ein deutscher Offizier den Banditen traf.
    Was hat mich zu dieser Fotze geführt, in der die Säfte so vieler Männer versauern, warum bin ich in diese Jauchegrube geflohen vom reinen Schoß meiner eugenischen Frau, von ihren Lenden, so rein wie ein polnischer Altar, von diesem Schoß wie eine Blumenwiese, von dieser Polenbruthöhle, die meinen Samen bereitwillig empfing, um ihn zu einem Polen aufgehen zu lassen, meinen Schwanz aber nur widerwillig aufnimmt, schickt es sich denn, einer Polin den Schwanz zwischen die Beine zu schieben? Schwere, düstere Notwendigkeit ist mein Körper für sie. Lieber wäre ihr, wir hätten keine Körper. Aber für Polen nimmt sie das in Kauf.
    Hela bei der Kopulation: auf dem Rücken, das Gesicht zur Seite gedreht, umfasst meinen Hals, keine Küsse – denn Küsse sind rein, gehören also zu einer anderen Welt –, mit den Beinen umfängt sie meine Hüften und nimmt mich auf, so passiv, willenlos und rein, sie zittert nicht einmal, Hela gestattete mir eher, etwas mit ihr zu tun, als dass sie etwas mit mir getan hätte, und nur manchmal, am Schluss, lief ein Schauder, den sie zu unterdrücken suchte, durch ihren Körper wie ein ferner Ruf jener anderen Weiblichkeit, die die Erziehung in ihr erstickt hatte.
    Am Anfang reichte mir Einfaltspinsel das, aber später lernte ich die nuttigen Kunststückchen kennen, das geile Winden und Stöhnen, das dreckige Wackeln mit dem Hintern und die verdorbenen Zärtlichkeiten, die säuisch geschickten Händchen auf meinem Körper, das ganze falsche Spiel, und doch, wie wohl tut es, wenn so mit einem gespielt wird.
    Und jetzt habe ich die Aktentasche verloren.
    Mich selbst habe ich verloren in Helas Augen.
    Sie werden ihn nicht aufnehmen, werden ihn verstoßen. Wie helfe ich ihm? Ich umarme ihn, tröste seinen malträtierten Kopf.
    Der Schädel platzt mir.
    Mein ganzes Leben, alles in Schutt. In Asche. Die Deutschen haben es zertrümmert. Rydz hat es zertrümmert. Hitler hat es zertrümmert. Warschau haben sie zertrümmert. Ich habe alles zertrümmert, kein Warschau mehr, keine Hela, kein Jureczek, nichts mehr da. Die Aktentasche gestohlen, ich habe das alles miteinander verbunden, in mir sind alle Fäden der Geschichte zusammengelaufen, und ich bin zerfallen, und alles ist zerfallen, als ich zerfiel.
    Die dicke Kanaille hat die Tasche gestohlen und mit ihr auch Konstanty, Konstanty ist weg, Konstanty ist gestohlen worden.
    Was tun? Er weiß es schon und weiß es doch wieder nicht. Die Mutter. Aber das ist kein guter Ausweg, überhaupt kein Ausweg, doch er weiß darum, und ich

Weitere Kostenlose Bücher