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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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bescheidenen Schreibtisch amtiert, selbst von unbestimmtem Alter, von der Schönheitslosigkeit alter, knochentrockener Fräulein, von denen man weder sagen kann, dass sie hässlich wären noch hübsch, weder alt noch jung, sie sind aus einer anderen, fremden Welt, als wären sie nie Frauen gewesen, Halbmänner, Ehrenmänner in Ordenstracht, das Geschlecht verdorrt unter rauer Baumwolle.
    Ich betrete das Zimmer mit dem Hut in der Hand, das weiß verschleierte Schwesterchen steht hinter mir.
    Schwester Eulalia sieht mich und begreift nicht, was ich wollen könnte, erkennt mich nicht, dann plötzlich:
    «Sie sind es», sagt sie leise.
    «Ja, Schwester», sage ich so, dass es möglichst etwas Militärisches hat.
    «Wegen des … Pakets?»
    «So ist es, Schwester.»
    Schwester Eulalia schickt die Novizin mit gewohnter Geste weg. Das Schwesterchen reagiert rascher, als meine Ulanen auf meine Befehle reagierten.
    «Ist es nicht zu früh?», fragt sie.
    Schwester Eulalia also ist nicht nur befehlsgewohnt, sie ist auch schlau. Sie versteht sehr wohl, dass zwei Wochen nach der Kapitulation niemand etwas mit einer Maschinenpistole anfangen kann, nicht einmal die Deutschen könnten unsere gar nicht schlechten MP is brauchen.
    Aber Gott sei Dank ist die Macht der zwischenmenschlichen Formen – ohne dass ich als moderner Mensch an sie glaube – auf meiner Seite. Eine Nonne wird einen Offizier nie der Lüge beschuldigen. Wird ihm nicht den Zutritt verwehren. Zumal ich ihr nicht sagen werde, wozu ich die Waffe brauche.
    «Staatsraison», sage ich. Dumm, aber schon gesagt.
    «Bitte?», wundert sich Schwester Eulalia.
    «Polen», versteige ich mich weiter. «Polen benötigt jetzt diese Waffe.»
    «Aber jetzt schon? Und Sie ganz allein …»
    «Schwester, ich bitte Sie», fahre ich ihr ins Wort, denn es ist höchste Zeit. «Geheimnis. Ich bürge mit der Ehre des polnischen Offiziers.»
    Eulalia schweigt, Schwester Eulalia. Bestimmt weiß sie, wie billig in dieser Zeit die Ehre des polnischen Offiziers zu haben ist. Vielleicht hat sie schon mit irgendeinem General zu tun gehabt. Dąb-Biernacki zum Beispiel. Oder anderen Legionären. Also mustert sie mich, als könne sie durch mich hindurchschauen, als wäre meine Haut durchsichtig und meine ganze Schändlichkeit stünde nackt vor ihr.
    Doch die Ordnung der zwischenmenschlichen Beziehungen ist mächtiger als die Logik des Verdachts.
    «Gut», sagt sie nur.
    Es gilt zu handeln.
    «Die Waffen bleiben, wo sie sind. Ich muss nur eine Pistole aus der Kiste holen. So lautet mein Befehl. Und ich werde Hilfe bei der Bergung, Öffnung und Wiederverschließung der Kiste benötigen, denn ich verfüge in diesem Augenblick über keine Männer.»
    Eulalia betrachtet meine Schändlichkeit, als blicke sie in eine Kloake. Ihre Augen sind so durchdringend, so mächtig, sie muss es sehen.
    Doch die Ordnung ist mächtiger als ihre Augen.
    «Deshalb fordere ich im Namen der Republik, dass Sie mich bei der Freilegung, Öffnung, erneuten Versiegelung und beim Vergraben der Kiste unterstützen.»
    Schweigen. Schändlichkeit. Kloake.
    «Die Republik gibt es nicht mehr …», stellt Eulalia fest.
    «Die Republik kann es gar nicht nicht geben, Schwester. Die Republik ist ewig», erwidere ich energisch.
    Eulalia nickt in Anerkennung der Inbrunst.
    «Aber Ausgraben in der Nacht, oder?»
    «Richtig, Schwester. In der Nacht.»
    «Kommen Sie dann später wieder, oder wollen Sie hier warten?»
    «Ich warte hier.»
    «Machen Sie es sich in einem der Klassenzimmer bequem und laufen Sie bitte nicht über die Flure.»
    Also gehe ich, drücke die erste Klinke im Gang, setze mich auf dem Lehrerstuhl hinter dem Schreibtisch und warte.
    Warten. Nach zwei Minuten schreckliche Zweifel, ob ich hier nicht vergebens warte. Später stelle ich mir vor, wie Schwester Eulalia in der Stadt sondieren lässt: Da kommt ein Leutnant vom Neunten Ulanenregiment allein und fordert eine Waffe. Vielleicht will er sie verkaufen? An die Deutschen weitergeben?
    Und die Fama mehrt sich, sie geht von Mund zu Mund, dringt bis zum Lours, wo das Kaffeehausleben blüht, zu Simon. Dort sitzen nicht registrierte Offiziere, der Name fällt, Leutnant Willemann, na sagen Sie, bei dem Namen braucht man sich doch nicht zu wundern …
    In was für einer Welt wird mein Jureczek leben, was für eine Welt bereite ich ihm vor, ich gemeinsam mit Hitler, Śmigły und Stalin?
    Jureczek. Mein Jureczek: Warum tut dein Papa dir das an, warum gießt er sich

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