Morphin
jetzt Gold wert, Sie dürfen nicht im Lager versauern, auch ich habe das nicht vor. Aber Sie, mit Ihrem Deutsch, mit Ihrer Kenntnis des Feindes, Sie müssen weiter für Polen kämpfen.
Zu Befehl, Herr Oberst.
Händedruck, sehr männlich.
Vielleicht habe ich damals so gedacht, damals fühlte ich sehr als Pole, in der Niederlage hat mich das Polentum aufgenommen, in schmutziger Uniform mit den Leutnantssternen, einer auf jedem Schulterstück, da dachte ich, ich gehe nach Hause und werde weiterkämpfen.
Warschau atmet schwer, in den ausgebrannten, bombardierten Warschauer Destillationsanlagen schütten sie haufenweise Kohle ins Elektrizitätswerk, die Erde hebt und senkt sich im Rhythmus Warschaus, die Weichsel wäscht Warschaus wunde Scham.
Woher solche Vergleiche die ganze Zeit? Was ist mit dir, Konstanty? Ich würde dich gern umfangen, dich an mich drücken wie eine Mutter, dein strohgelbes Haar küssen, wie deine Mutter dich nie geküsst hat, doch ich habe keine Arme und habe keinen Mund, ich kann dir nur nachgehen.
Die Dobra ziehen Menschenläuse entlang, Fahrradwanzen und eine lausige Pferdekutsche mit dickem Kutscher. Keine Straßenbahn, wie sie sonst immer durch diese Straße fuhr, mein kleiner Opel weg, so sehr weg, als hätte es ihn nie gegeben, was also tun? Und Warschau ist groß, zu Fuß kommt man nicht überallhin.
«Darf ich den schönen Herrn irgendwo hinfahren?»
Eine Art Rikscha. Ein Fahrrad, vorn zwei Räder unter einer tragfähigen Holzkiste, sieht ziemlich ungemütlich und sehr gefährlich aus, aber die Muskelkraft dessen, der den Sattel erklomm, hat das Vehikel immerhin bis hierher gebracht.
Der Schwanz des Rades ist besetzt mit einem dünnen Fahrer in Pumphose, schmutzigen Kniestrümpfen und Radlermütze.
«In die Czerniakowska, zu den Nazarenerinnen», kommandiere ich, klettere auf den Holzsitz, als stiege ich in ein Taxi, richte mich irgendwie ein, drücke die Knie zusammen und sitze da wie der Jude auf dem Wagen, nicht wie der Gentleman auf Reisen. Gentlemen gibt es schon lange nicht mehr.
Also fahren wir.
«Lesen Sie mal, verehrter Herr», grummelt der Radler, mit einer Stimme wie aus der Kanalisation. Er reicht mir das «Amtsblatt der Hauptstadt Warschau». Ich lege mir die Zeitung auf die Knie und lese. Mitteilung über die Vollstreckung des Todesurteils an dem Kraftfahrer Karol Leszniewski. Für das Verstecken von Waffen in seiner Wohnung.
«Sehen Sie, deutsche Ordnung. Vor zwanzig Jahren war es genauso, da war ich jung, mein Herr, aber ich weiß es noch wie heute. Meinem Schwiegervater seligen Angedenkens haben sie den Cousin erschossen. Hat geplündert, schon richtig, aber jemanden für so was gleich zu erschießen? Diese Deutschen, mein lieber Herr, die haben schon immer ein Faible fürs Erschießen.»
Also ist er tot, Karol Leszniewski, wer immer das war, was geht mich das an, wichtig für mich nur, dass es gefährlich ist, Waffen zu besitzen und bei sich zu tragen, aber wer wird hier schon mit einer Waffe herumlaufen?
Wir fahren an Straßenverkäufern vorbei, die alles Mögliche anbieten, Zettel an den Mauern, ich lese sie nicht, mich interessiert nicht, wer da wen sucht.
«Brauchen der schöne Herr keine Waise, um die er sich kümmern kann zwecks mehr oder weniger matrimonialer Absicht, gegen geringe Gebühr?», quengelt der Rikschafahrer mit Kanalisationsstimme, atmend, keuchend in die Pedale tretend.
Ich zucke mit den Schultern, das hätte mir gerade noch gefehlt.
«Ich hätte da verschiedene», fährt der Rikschakutscher fort. «Eine Jüdin zum Beispiel, honigsüß, zum Vernaschen, der Herr, Pfirsichbrüstchen. Und so zärtlich von Natur. Temperament, wissen Sie. Auch ein paar Mädchen von uns, Brünette, Blondinen, Sie wissen schon, der Herr. Für ein Stündchen oder für immer, wenn Sie wollen. Soll ich Sie hinfahren, zeigen, ausprobieren?»
«Fahr mich in die Czerniakowska», erwidere ich, sehr stolz auf meine moralische Überlegenheit über den Kriegsradler Monsieur Alphonse.
Der steigt weiter in die Pedale und atmet mir sein Mantra ins Ohr: «Frisch, gesund, keine Nutten oder so, Chef, Waisenkinder, die Mama beim Bombenangriff getötet, Papa an der Front gefallen, da muss man sich kümmern, und das hab ich auch getan, soll das vielleicht umkommen in diesen Wirren, und was für eine Haut, der Herr, schneeweiß und duftend, glatt, die Brüstchen, dicker kleiner Popo.»
«Hören Sie auf, was kuppeln Sie hier, ich brauch keine Weiber, hab Ärger genug»,
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