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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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weggenommen, Polen, böse Menschen, Witkowski, wer?
    Ein Brief auf eurem Bett. Was kann schon darin stehen, du liest und verstehst kein Wort, es klingt wie Musik, bewegend, aber bedeutungslos, und du verstehst dennoch.
    Sie ist fortgegangen. Hat das Geld mitgenommen, du wirst sehen müssen, wie du zurechtkommst, dir wird es leichter fallen, deshalb hat sie alles genommen. Ihr werdet euch heimlich treffen, natürlich, werdet ausmachen, was und wie und wann Polizeistunde ist, der Vater darf nichts erfahren, er soll die Legende glaubwürdig machen, anders geht es nicht.
    Dabei betrifft die Polizeistunde dich doch gar nicht mehr. Was betrifft dich dann, Kostek?
    Wer bist du, eingeklemmt zwischen Wand und Bett, weinend wie ein Kind, ein Mörder, ein Hurenbock, ein nüchterner Morphinist, wer bist du, Kostek?
    Du bist mein.
    So wie du bist: Mein und verweint, einsam, verloren, ohne Geld, voller Hoffnung schläfst du ein zwischen Wand und Spiegel, ohne dich zum Schlafen auszuziehen.

Kapitel sieben
    U nd am Morgen, am anderen Morgen ist schon der siebzehnte Tag im Oktober, du erwachst neben dem Bett, und dich dürstet.
    «Sitio», sage ich zu der leeren Wohnung.
    Willst du etwa Jesus parodieren, Kostek? Oder vielleicht den Lateinlehrer vom Gymnasium? Für wen hältst du dich? Für niemanden, genau das ist deine Tragik.
    Dich dürstet nach Wasser, als hättest du einen Kater, dabei hast du doch nichts getrunken, dich dürstet nach Morphin, aber du hast doch Nüchternheit gelobt, wenigstens in dieser Hinsicht, du hast sie zum zweiten Mal gelobt und willst diesen Eid nicht brechen. Du dürstest nach Helas Körper und weißt doch, dass du ihn lange nicht, dass du ihn überhaupt nie mehr haben wirst. Du dürstest nach dem Hurenkörper deiner Salomé, hast aber zu viel Angst vor ihr, um jetzt zu ihr zu gehen, nicht wahr? Du dürstest nach allen Körpern, die du je gekostet hast, von Iga bis Hela.
    Ich werde nicht zu Salomé gehen. Ich rappele mich vom Boden auf, schäle mich aus den Kleidern, ins Bad, Waschen, Rasieren.
    Im Spiegel mein Gesicht. Nicht meins.
    Deins, Kostek.
    Im Spiegel das Gesicht eines Verräters? Nicht das eines Verräters, im Spiegel das Gesicht eines Helden. Eines Helden?
    Eine neue Klinge in den Rasierer, die Bartstoppeln abgeschabt. Ein frisches Hemd, eine andere Krawatte, den Anzug vom Vortrag ausbürsten, als wäre kein Krieg, wieder in den Schrank damit. Ich hänge ihn weg.
    Im Schrank keine Kleider von Hela, keine Röcke, Blusen und keine Unterwäsche. Ihre Regale leer und dennoch voller Hoffnung.
    Ich schließe den Schrank.
    Iga. Szucha  25 , im Ministerium. Ganz in der Nähe.
    Ich gehe.
    Ministerium für Glaubensbekenntnisse und Öffentliche Aufklärung, großartig. Aufgeklärt hat es die polnische Öffentlichkeit, auf jeden Fall.
    Dem Wachmann weise ich mich mit meiner Kennkarte und dem Wiener Deutsch aus. Die Stimme unter dem Helm zeigt mir den Weg. Zimmer Nummer zweihundertfünfundsiebzig.
    Und unter deinen Füßen ergießt sich die dunkle Substanz, als gingest du über einen nassen Teppich. Hier ereignet sich Geschichte.
    Was ist Geschichte, Kostek? Dünger, Futter für die schwarzen Götter, Summe von Jammer und Tränen, Staub und Asche.
    Geschichte ereignet sich, wenn du das Büro dieses Deutschen in grauer Uniform betrittst, hinter dem polnischen Mahagonischreibtisch, an dem bis vor kurzem noch ein Referent mit dem Namen Kopczykiewicz Berichte über die Situation der orthodoxen Kirche in der Wojwodschaft Nowogródek verfasst hat und jetzt, genau in dem Augenblick, Kostek, in dem du dieses Büro betrittst, sitzt Referent Kopczykiewicz in einer kalten Lemberger Wohnung bei seinem Mütterchen, zu dem er geflohen ist, und schaut aus dem Fenster auf die brave sowjetische Patrouille, bei deren Auftauchen sich die Straße leert.
    Ein Deutscher sitzt an seinem Schreibtisch, in dessen Schubladen noch Kopczykiewiczs Füllfeder, Löschpapier und Akten mit seiner Unterschrift ruhen, denn der Deutsche interessiert sich nicht besonders für den Inhalt dieser Schubladen.
    Na, fang an, Kostek.
    Nach dem Grund der Verhaftung frage ich nicht. Kraftvoll, ernsthaft, mit einer Selbstsicherheit, als wäre ich überzeugt, dass allein die Tatsache, dass ich Reichsdeutscher bin, mich dazu berechtigt, die Freilassung der Frau meines Freundes, meiner ehemaligen Geliebten zu fordern.
    Dabei ist das völliger Blödsinn, aber was bleibt mir sonst? Ich rechne damit, dass das gelingen könnte im Chaos der ersten

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