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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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Okkupationstage, bevor alles sich klärt, absetzt, erhärtet.
    Der Deutsche hört aufmerksam zu, ich fordere nur die ganze Zeit.
    Der Deutsche hört, nickt. Notiert sich den Namen, bittet, ihn zu buchstabieren.
    «Sie sind sicher, dass sie hier interniert ist, ja?»
    «Ja.»
    «Aber woher wissen Sie das eigentlich?»
    «Ich weiß es ganz einfach.»
    Der Deutsche geht zum Gegenangriff über.
    «Wenn sie verhaftet wurde, dann bedeutet es, mein Herr, dass sie was angestellt hat. In welchem Verhältnis steht sie zu Ihnen? Sie haben vor dem Krieg in Warschau gewohnt, Sie sind nicht aus dem Reich, oder?»
    Schlag zurück, Kostek, nur in welche Richtung? Weiter fordern und hart spielen oder eher das Einvernehmen suchen? Dir gefällt das runde, milde Gesicht dieses Beamten in seiner bescheidenen Uniform mit dem bescheidenen Band des Eisernen Kreuzes am Knopf, dein Vater hatte genau so eins, erinnerst du dich. Der hier auch für den ersten Krieg, wofür sonst, für den jetzigen konnten sie noch keine vergeben, er ist vielleicht zehn Jahre älter als du, da wurde er bestimmt 1918 noch einberufen, denkst du dir und hast recht damit, denn genauso war es, dann folgte die übliche Geschichte solcher Soldaten, Freikorps, Kapp-Putsch, Stahlhelm, die dunklen Weimarer Jahre, SA , dann SS , Geheime Staatspolizei, ein Dienst, bei dem er sich nicht besonders hervortat. Du weißt das nicht, Kostek, aber erkennst es doch irgendwie, ahnst es bei diesem runden Gesicht mit den guten, blauen Augen.
    Also doch lieber einvernehmlich, oder? Ich spreche erst kurz über mich, erzähle, wie schwer es ein Deutscher in Warschau hat, und plötzlich suggeriert mir etwas, einen Satz über meinen Vater zu sagen, der im großen Krieg gekämpft und dann mit den polnischen Aufständischen um Oberschlesien gefochten hat, auch ich war in polnischer Uniform an der Bzura und habe das Tapferkeitskreuz bekommen.
    Schon ist mir seine Aufmerksamkeit sicher.
    «Also Sie sind Deutscher?», fragt er verstört.
    «Ja natürlich», rufe ich, natürlich, ich war polnischer Staatsbürger, habe meine Pflicht bis zum Ende getan – aber jetzt gibt es Polen nicht mehr. Ich halte meinen Eid für erfüllt und kann mich endlich mit meinem wahren, nationalen Vaterland vereinigen. Ich sehe, wie dieser Widerspruch in ihm arbeitet. Ein Deutscher, der gegen uns gekämpft hat, aber die Rhetorik versteht er, sie spricht ihn an. Das Gespräch mit mir interessiert ihn jetzt, das ist das Wichtigste.
    Dass ich nur nicht vergesse, wer ich wirklich bin, ich spüre, dass mir das leicht passieren könnte.
    Also zur Sache, zur Sache. Da wir nun schon so vertraulich sind, jetzt mal von Soldat zu Soldat: Es ist meine Geliebte. Polin, aber völlig apolitisch.
    «In Zeiten des Krieges ist alles politisch, jeder ist politisch», stellt mein Gegenüber zutreffend fest.
    Ich stimme zu, verweise aber sofort auf eine Erfahrung, die ihm vertraut sein sollte. Würden Sie nicht alles daransetzen, um ein Mädchen zu retten, das Ihnen lieb ist, sei sie nun eine Polin oder sonst wer?
    «Sie denken doch nicht vielleicht, dass ich mich in eine Judenbraut verlieben könnte, oder?», lacht die graue Uniform. «Andererseits, richtet sich das Herz nach parteilichen Reden?», fügt er gedämpft hinzu, augenzwinkernd.
    Also ist er verliebt oder war es oder wird es sein.
    Sturmführer Merkel, so lautet sein Name, den er dir nicht sagen kann, Dienstvorschrift. Der Sturmführer versteht, das ist richtig. Aber Sturmführer Merkel hat auch seine Prinzipien. Hat auch seine Bedürfnisse, in Berlin hat er ein Mädchen, dem er keinen Antrag machen kann, weil er schon mit einer Frau verheiratet ist, auch wenn sie ihm nichts bedeutet. An dem Mädchen mit dem schwarzen Haar und den blauen Augen dagegen, dem Mädchen namens Bernadette liegt ihm mehr als an allem auf der Welt, und er ist wahnsinnig eifersüchtig, zumal er ihr erster Liebhaber war und dummerweise glaubt, er könnte sich ihre Treue mit Geschenken von der Front erkaufen.
    Von der Front – denn er hat ihr immer noch nicht gesagt, dass er bei der Gestapo ist. Weil er glaubt, es könnte sie abstoßen, und das glaubt er, weil Bernadette die Nazis wirklich hasst und den Jazz liebt, also wie könnte sie sich in einen Gestapomann verlieben?
    Doch Sturmführer Merkel ist ein Dummkopf und versteht nichts von der Liebe: Bernadette könnte ihn als Nazi, als Kommunisten oder Juden liebgewinnen, aber wenn sie ihm nicht treu bleibt, dann deshalb, weil sie aufhört, ihn zu

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