Morphin
alles.
Gebrochen verlässt er Frau und Kind, gebrochen holt er Katarzyna Willemann aus der Anstalt, gebrochen wird er Pole, gebrochen liebt er sie bis zum Wahnsinn und verliert den Verstand, schießt sich gebrochen mit dem Revolver in den Schädel, nachdem sie ihm erklärt hat, sie könnten sich nicht mehr sehen, denn sie wolle, dass Alfred Konieczny sein Leben dem Kampf um die polnische Sache widme, statt es mit ihr im Federbett zu vervögeln.
Das verkündete sie ihm, während sie seinen Samen in sich spürte, gleich nachdem er aus ihr herausgeglitten war auf das zerdrückte Laken. Er kannte sie und wusste, sie macht keinen Spaß, sie würde ihre Meinung nicht ändern, zog sich hastig an, noch die letzten Krampfschauder spürend, die leblose Wonne in der Erinnerung, lief nach Hause und durchschoss sich den Kopf mit einer Kugel vom Kaliber sechs Millimeter.
Ich saß damals noch eine Weile bei ihm, streichelte seinen weißen, polnischen Kopf, sah zu, wie das auf den Revolver gespritzte Blut in die Rillen der Trommel sickerte, dann verließ ich ihn und wartete lange auf einen Würdigen, bis ich hinter deinem Vater stand und auch ihn verließ, als du fünf warst, Kostek, und stellte mich hinter dich.
Ich habe dich immer mit den polnischen Augen deiner Mutter gesehen, Kostek. Jetzt sehe ich dich mit den deutschen Augen deiner Mutter, Konstanty, und du willst nicht glauben, dass sie überhaupt nie geschlafen hat, aber ich weiß, dass sie nie schlief. Ein bisschen bin ich sie.
Du kannst es nicht verstehen: Zwischen der damaligen Entscheidung, Polin zu werden, und der jetzigen, Deutsche zu werden, verläuft eine gerade Linie: Deine Mutter ist der reine Wille, deine Mutter kommt dem Göttlichen nahe, und wenn sie wollte, könnte sie mit ihrem Willen Hitler aufhalten, könnte der Sonne am Horizont Einhalt gebieten.
Aber du wirst das nicht verstehen, du kannst das nicht.
Und jetzt geh, geh weg von hier.
«Geh jetzt, wir reden später», sagt deine Mutter in der dunkelgrünen Uniform, der im Nacken geflochtene Zopf wie ein großer Nagelkopf.
Du verabschiedest dich und gehst, betäubt, gehst einfach raus, die Kennkarte in der Hand, in der Tasche den polnischen Pass. Die im Flur versammelten Deutschenanwärter machen dir Platz. Sie schauen auf das Dokument in deiner Hand und sehen dich mit einer gewissen Verachtung an, potenzielle Verräter den vollendeten Erzverräter, oder sehen sie dich mit Bewunderung, Achtung, Angst an?
Ein Deutscher in grauer Uniform drängelt sich durch, kein Adler auf der Brust, der Kragen geöffnet, schwarze Krawatte, braunes Hemd, über der Krawatte und dem Hemd ein Gesicht, das du kennst, aber nicht erkennst. Dieser Deutsche grüßt dich, er lächelt dir zu. Jetzt weißt du es, Sym! Ihr seid euch manchmal begegnet, einmal wurdet ihr einander sogar vorgestellt, bei irgendeinem abendlichen Gelage im Spatzen. Hela war entzückt, den Abgott ihrer Schülerjahre kennenzulernen.
Sein Blick entsetzt dich: Vielsagend lupft er den Mützenrand, vertraulich, als gehörtet ihr allein schon durch die Anwesenheit im Deutschen Klub zusammen, er in der grauen Uniform, du mit der Kennkarte des Reichsdeutschen in der Hand. Als wollte er sagen: Schau mal an, wie wir Deutsche von der Geschichte getragen werden. Von ihrem Geist.
Vielleicht hat er ja recht mit diesem Blick.
Du gehst wie betäubt, Kostek, trittst hinaus auf die Fredrostraße, es hat angefangen zu regnen, du trittst hinaus, als würde es nicht regnen, du nimmst den Regen gar nicht wahr. Du gehst wie betäubt durch den Park, durch die Straßen, die Kennkarte hast du in der Innentasche der Jacke.
Du kehrst zurück zu dem Haus Marke E. Wedel, die Tür zu deiner Wohnung steht auf. Du trittst ein. Nicht da.
Sie sind nicht da. Weder Hela noch Jureczek. Hast du damit nicht gerechnet? Hast du gedacht, es könnte anders sein?
Wie oft bist du vor ihrem Körper geflohen, bist geflohen vor dem Kindergebrüll, vor dem Abendbrot mit der Familie, irgendwohin geflohen, in die Ziemiańska oder zu Salomé, oder in die Tatra, zu zufälligen Liebhaberinnen und zufälligen Freunden, nur weit weg, ihre Stimmen loswerden, die Gesichter derer, die du am meisten liebtest und dennoch nicht ertragen konntest.
Heute sind sie nicht da. Und auf einmal ist das Fehlen von Helas Körper heftiger als die Lust, die sie dir letzte Nacht geschenkt hat, ihren Körper, ihre Brüste, Bauch, Schultern, Gesäß, ihr helles Haar, sie haben dir Hela weggenommen, wer hat sie dir
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