Morphin
wenn Weiße Adlerin hier in dieser grünen Uniform ohne Rangabzeichen steht, heißt das, dass es Polen nicht mehr gibt, ganz einfach.
Deine Mutter war für dich Polen, Kostek. Vielleicht war sie überhaupt Polen, nicht nur für dich, vielleicht konzentrierte sich ganz Polen in ihr.
Ich bleibe vor ihnen stehen.
Meine Mutter lächelt mich herzlich an. Ich kenne dieses Lächeln nicht.
«Ich freue mich, dass du gekommen bist», sagt sie auf Polnisch. «Aber das war nicht notwendig. Ich habe schon alle Formalitäten für dich erledigt. Die aktuelle politische Situation erscheint mir in gewissem Sinne als Triumph des vorindoeuropäischen Substrats über die arischen Eroberer, verstehst du? Du kennst die Theorie von Sigmund Feist, oder?»
Natürlich kenne ich sie nicht, verstehe nichts, höre nicht einmal zu. Denn was soll das nun wieder, wie jetzt, du hast die Formalitäten für mich erledigt, ohne mich zu fragen, und wenn ich nun Pole werden wollte, ich will ja schließlich Pole sein, was dann? Schecks, gnädige Schecks, barmherzige Schecks, Mutterschecks, Opel Olympia, Schokoladenhaus, Smokings, Autorallyes, Flugzeug nach Venedig, das alles.
«Hier unterschreib, bitte.»
Ein Dokument auf Deutsch, von knochiger Mutterhand gereicht, Deutsches Reich, Kennkarte, Adler wie auf den Uniformen, in der Mitte Konstantin Michael Eduard Willemann und Konstantins Foto, das gleiche, das ich im polnischen Pass hatte, an zwei Stellen gelöchert.
«Hier, mach deine Fingerabdrücke, bitte.» Die Mutter spricht an diesem Ort ungehemmt Polnisch, warum spricht sie Polnisch, wir sollten hier doch Deutsch sprechen.
Sie schiebt mir ein Schächtelchen mit Tusche zu, ich drücke Daumen und Zeigefinger beider Hände ab, sage kein Wort. Meine Mutter faltet das Dokument zusammen, reicht es mir mit strahlendem Lächeln.
«Ich begrüße Sie in den Reihen des deutschen Volkes, Herr Willemann.»
Du verstehst nichts und lässt alles mit dir geschehen, Kostek. Siehst das Abzeichen am Jackettaufschlag deiner Mutter. NS -Frauenschaft. Und verstehst nichts.
Ich werde dir nicht erzählen, dass das alles für sie ganz einfach ist. Ich lasse dich denken, was du willst, du wirst deiner Mutter Gemeinheit vorwerfen, niedrige Beweggründe, Angst, dann wirst du diese Gedanken bekämpfen: Wer weiß, vielleicht tut sie das auch auf irgendjemandes Weisung, so wie du.
Sie hat einfach immer getan, was sie wollte.
So ist deine Mutter, Kostek, du hast sie nur nie kennengelernt. Nie, seit ihr nach Warschau kamt und sie sich in der Einsiedelei ihres Zimmers verkroch, zu dem nur du und Stach Zutritt hattet, du holtest dir deine Schecks dort ab, Stach kam zu vielstündigen Audienzen, bei denen sie redete und er zuhörte; er kannte sie doch viel besser, als du sie je kennengelernt hast.
Warum ist sie jetzt Deutsche geworden?
Aus einem einzigen Grunde: weil sie es so beschlossen hat. Diese Entscheidung traf sie eines Morgens. Die slawische Zeit ist vorbei, es ist Zeit, wieder Germanin zu werden. So wie sie damals beschlossen hat, Polin zu sein, eingeschlossen im Irrenhaus in Rybnik, wollte sie Polin werden, denn das Polentum war für sie die absolute Überschreitung. Ihren Arzt, den jungen Psychiater von Koneczny, machte sie zum Polen, um diese Transgression zu vervielfachen, und weil sie als behandlungsbedürftige Verrückte über keine anderen Mittel verfügte, tat sie es mit Hilfe ihres Körpers.
Ich war damals bei Koneczny und erinnere mich an die schwarzen Nächte des jungen Psychiaters: die junge Ehefrau im Bett mit dem Säugling und seine schwarzen Nächte. Die Frau mit dem Kind wird dann nach Berlin fahren, das Kind wird später bei Cambrai umkommen, das war es dann auch schon mit seinem Leben, in den Dreck getreten, väterlicher Betrug, Deutschland, Krieg, ein Splitter, das Ende, Würmer. Als Martin noch klein ist, sitzt sein Vater am Tisch, die Öllampe rußt, er sitzt da und guckt. Der Strich, den der Schnaps auf die Flaschenwand zeichnet, sinkt schnell mit jedem Gläschen tiefer. Mit dem Wodka versucht er, die Erinnerung an den Körper seiner Patientin zu betäuben. Später beichtet er einem Priester, dann beichtet er einem Freund, und der Körper der jungen Willemann schlängelt sich durch Augen und Hände in sein Hirn, auch durch den Mund, mit dem er sie kennengelernt hat, und durch den Schwanz, der plötzlich überhaupt nicht mehr die junge, schöne Ehefrau begehrt, nur noch die achtzehnjährige Patientin, und am Ende gewinnt dieser Körper
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