Morphin
den runden Tischchen, konferieren, schlürfen ihren Kaffee. Immer wieder das Gleiche: Sobald du die Straße verlässt, scheint gar kein Krieg zu sein.
Unter der Palme in Thekennähe bemerke ich Rudzik und er mich. Seine Gesellschaft verlockte mich noch nie, ich kenne ihn als dümmlichen Langweiler, aber es wäre unhöflich, einen Bekannten, wenn man ihn einmal bemerkt hat, nicht zu begrüßen und sich nicht zu ihm zu setzen.
Ich gehe also hin, lächle routiniert und strecke die Hand aus. Rudzik dagegen springt auf wie vom Blitz getroffen, und ich begreife sofort – denn ich sehe, wie ihm vor Wut die Knie zittern und die Hände, aber man hat ja Willenskraft, Rudzik ist schließlich Offizier, auch in Zivil, man ist beherrscht, also steht man auf und geht an mir vorbei, als wäre ich überhaupt nicht da, meine Hand steht in der Luft und wird zum Mittelpunkt des ganzen Cafés, sämtliche Blicke ruhen auf dieser rechten Hand. Rudzik versucht, noch mutiger zu sein, er tut, als blicke er durch mich hindurch, um mir zu sagen, dass er keine Angst hat.
Und jetzt spüre ich, wie der Zorn mir plötzlich ins Blut rauscht.
Ich sehe, dass Rudzik gern noch eins draufgeben würde: mir vor die Füße spucken oder ins Gesicht, mich vielleicht sogar ohrfeigen.
Rudzik aber bemerkt etwas in deinen Augen, Kostek, das Heulen von Kajetan Tumanowicz und das Blut, das aus dessen leerer Augenhöhle rinnt, Rudzik bemerkt das und bekommt jetzt Angst, er erschrickt über das, was er tut, und ist dann entsetzt, denn er kann ja schließlich nicht mehr zurück, was soll er tun, in plötzlicher Kehrtwendung die deutsche Pfote des Verräters drücken, jetzt, wo alle gucken, wo er lärmend den Stuhl zurückgeschoben hat? Aber er sieht das Blut in diesen Augen: Er weiß, dass er seinem Aufspringen und der Verweigerung des Händedrucks nichts mehr hinzufügen kann, reißt daher die Sportjacke des Tatrawanderers von der Stuhllehne und geht hinaus, rennt, flieht geradezu.
Die Blicke lösen sich von deiner Hand, denn alle haben Rudzik fliehen sehen. Natürlich, sie werden das anders nennen. Sie werden sagen, er habe dir nicht die Hand gegeben, er sei mutig, aber jetzt sind sie zu nichts in der Lage, zu keinem Verachtungsbeweis, denn auch sie fürchten mit seiner Angst, der Angst des Majors Rudzik.
Und du, Kostek, wirst dieses Kreuz tragen. Besser gesagt, dieses Adlerbeil wirst du auf den Schultern tragen, als Opfer fürs Vaterland.
Auf Rudzik geschissen. Auf euch alle geschissen. Der Kellner eilt herbei und versucht, die Balance zwischen der Dienstfertigkeit gegenüber mir, dem Deutschen, und einer für das Kaffeehauspublikum aufgeführten Distanz zu mir zu wahren, der Arme ist zwischen Hammer und Amboss geraten. Ich werde es ihm nicht leichter machen, ich habe nicht vor, es irgendjemandem leichter zu machen.
Ich setze mich mit einem dünnen Kaffee und Butterbrot, denn auf Kuchen – es gibt wieder Kuchen! – habe ich keine Lust, und an handfestem Essen haben sie nur Brot.
Ich greife nach dem Hänger mit dem «Nowy Kurjer» und ernte wissende Blicke: Ein käuflicher Deutscher, der liest natürlich den «Kurjer». Geschissen auf euch. Ihr lest ihn doch selbst, irgendwas muss man ja lesen. Ich durchblättere die Zeitung, vor allem die Anzeigen, nichts Interessantes, trinke meinen Kaffee aus und gehe. Ich gehe zu Jacek.
Ich finde ihn dort, wo ich ihn verlassen habe, in seiner Wohnung, im Schlafanzug, als hätte ihn die Nachricht, dass Iga am Leben ist, nicht im mindesten auf die Beine gebracht.
«Sie lassen sie raus. Für zweitausend Dollar. Hast du die?», frage ich schon an der Tür.
Jacek antwortet nicht, sondern geht wortlos ins Wohnzimmer, öffnet den Sekretär, nimmt eine ziemlich dicke Brieftasche heraus, sieht die Fächer durch und zieht zwei Fünfzigdollarscheine heraus. Mit Präsident Grant. Dazu fünfhundert polnische Złoty.
Ich setze mich in den Sessel, Jacek legt das Geld vor mir hin.
«So viel habe ich.»
Und sinkt zurück auf die Couch, auf der er ohne Zweifel die letzten Tage verbracht hat. Die Zimmerdecke ausgebleicht von seinem stumpfen Blick.
«Jacek, um sie dort rauszuholen, muss man das Geld besorgen.»
Er dreht sich zur Sofalehne.
«Das ist meine Strafe», sagt er, gedämpft vom Plüsch der Lehne. «Gott straft mich für meine Missetaten.»
Ich bin ratlos. Ich müsste ihn trösten, ihm die blöde Idee einer Strafe aus dem Kopf schlagen, ihn zum Handeln bewegen, zwingen.
Müsste, müsste. Kostek, bist du
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