Morphin
hier. Mit einem Köfferchen in der Hand.
«Konstanty …», flüstert sie. «Verzeih mir.»
«Gehen wir», sagst du.
Du fasst sie unter dem Arm, nimmst ihr das Köfferchen ab, sagst ihr, dass Jacek auf sie wartet, auch wenn das nicht stimmt, denn wenn Jacek auf dem Sofa liegt und an die Decke starrt, wartet er auf gar nichts, nicht einmal auf Iga, Jacek selbst ist so gut wie nicht da.
Und Iga Rostańska, die kleine, schwarzhaarige Iga, Ehefrau deines Freundes und deine erste Frau, bekommt plötzlich eine Ahnung und fragt, ob er wieder …? Du kannst es nicht bestreiten, hast keine Lust, sie zu belügen.
«Dann will ich nicht zu ihm. Bitte, nicht zu ihm, nicht heute. Ich kann ihn heute nicht pflegen. Morgen werde ich mich um ihn kümmern, ihn rasieren, ihn baden, werde ihn wieder ins Leben bringen, alles. Aber nicht heute. Nimm mich mit zu euch.»
Du schweigst. Sie weiß nicht, dass Hela nicht mehr da ist. Oder weiß sie es? Vielleicht ahnt sie es, mit weiblichem Gespür?
«Hela und Jureczek sind nicht da», sagst du, und was sagst du damit, was willst du damit sagen?
Iga schmiegt sich enger an deine Seite.
«Nimm mich mit zu dir, Kostek.»
Und du verstehst wohl, was sie braucht nach drei Wochen Arrest. Wärme, Ruhe, Dunkelheit und ungestörten Schlaf. Aber vielleicht denkst du, das sei das Versprechen auf eine gemeinsame Nacht, Kostek?
Du weißt nicht, was sie gesehen hat, es war gar nicht viel, niemand hat sie geschlagen oder gequält, ein paar andere wurden misshandelt, sie selbst saß einfach mit irgendwelchen Frauen in der Zelle, mit einer Prostituierten und so einer Dame, niemand hat sie auch nur geohrfeigt, nichts dergleichen, sie hatte nur höllische Angst, denn Iga ist nicht Dzidzia Rochacewicz, Iga Rostańska ist eine ganz andere Art von Frau, Kostek, aber das verstehst du nicht, denn du, armer Dummkopf, machst wenig Unterschied zwischen den Frauen. Aber dass sie das braucht, das verstehst du. Dass sie heute Jacek im Schlafanzug nicht ertragen könnte, wie er stumpf an die Decke starrt. Heute könnte sie nicht ertragen, dass er sie braucht.
Also geht ihr Arm in Arm, die Puławska, das Schokoladenhaus. Die Oktobersonne, vielleicht die letzte in diesem Jahr, wärmt seine Mauern, und sie werden weich, duften und hinterlassen eine braune, süße Spur an den Fingern.
Ihr steht vor dem Haus. Du weißt nicht, wie lange du so stehst, aber Iga steht geduldig und bedächtig neben dir.
«Warum bist du verhaftet worden?»
«Wir haben Widerstand geleistet.»
«Widerstand?»
«Sie wollten unser Auto beschlagnahmen, und ich wollte es nicht hergeben. Da haben sie mich verhaftet.»
«Sie hätten dich erschießen können.»
«Ja, schon.»
Du antwortest nicht. Du fürchtest die Antwort, also antwortest du nicht.
«Gehen wir nach oben», sagst du.
Ihr steigt die Treppe hoch, bis zu deiner Tür
«Ich würde gern ein Bad nehmen», sagt Iga.
Du schaust nach – warmes Wasser gibt es, gut, du lässt die Wanne ein, der Spiegel beschlägt, du guckst Helas Kosmetika durch und findest ein Badesalz, Lavendelduft erfüllt das Bad, Iga sitzt derweil im Wohnzimmer, die Hände auf den Knien, nicht einmal den Mantel hat sie abgelegt, sie sitzt da, als warte sie auf etwas.
Du kommst aus dem Bad, bittest sie, bitte Iga, das Bad ist bereit, und sie geht im Mantel ins Badezimmer, schließt die Tür hinter sich, hängt den Haken ein, was dich ein wenig verletzt.
Weil du nicht verstehst, wie sehr jemand sich nach Privatsphäre sehnt, der gerade drei Wochen in einer Vierpersonenzelle verbracht hat, einer improvisierten, mangelhaften Zelle obendrein.
Du verstehst es nicht, respektierst es aber, nicht wahr?
In der Wohnung ist es sehr still, man hört nur, wie Iga sich hinter der Badezimmertür auszieht. Du hörst sie ins Wasser steigen, hörst sie eintauchen und gehst davon aus, dass sie nackt ist, so stellst du dir das vor, du erinnerst dich ja an ihren Körper.
Dabei ist sie gar nicht nackt, sie ist in Unterwäsche ins Wasser gestiegen, denn die Unterwäsche ist schmutzig, Schlüpfer und Büstenhalter legt sie erst kurz darauf ab, nachdem du die Wohnung verlassen hast. Denn das zu tun, dieser Gedanke reift jetzt in dir, Kostek. Das Geld jetzt Witkowski zu bringen.
«Iga, ich gehe für anderthalb Stunden raus. Fühl dich wie zu Hause», sage ich durch die Tür.
Eine verplätscherte Antwort.
Ich ziehe also den Mantel an und trete auf den Erlöserplatz, habe die Tasche mit dem geringfügig angeknapsten Dollarbetrag
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