Morphium
Sie hatten keine Gefühle für sie?« Peter Lord starrte ihn an.
»Großer Gott, nein.«
Hercule Poirot dachte einen Augenblick nach. »Roderick Welman sagt, Elinor Carlisle und er hätten sich gern gehabt, mehr nicht. Sind Sie auch dieser Ansicht?«
»Wie zum Teufel soll ich das wissen?«
Poirot schüttelte den Kopf.
»Sie sagten mir, als Sie in dieses Zimmer kamen, dass Elinor Carlisle den schlechten Geschmack habe, in einen langnasigen, hochmütigen Esel verliebt zu sein. Das, nehme ich an, ist eine Beschreibung von Roderick Welman. Also glauben Sie doch, dass sie ihn liebt.«
»Und ob sie ihn liebt! Wahnsinnig liebt sie ihn!«
»Also dann gab es ein Motiv…«
Peter Lord wandte sich rasch nach ihm um, sein Gesicht zornentbrannt.
»Macht das etwas? Sie könnte es getan haben, ja! Es liegt mir nichts dran!«
»Aha!«
»Aber ich will nicht, dass sie aufgehängt wird, sage ich Ihnen! Und wenn sie zur Verzweiflung getrieben wurde? Die Liebe ist eine verzweifelte und verrückte Sache. Sie kann aus einem Wurm einen Mordskerl machen – und kann einen anständigen, rechtschaffenen Menschen zerstören! Und wenn sie es getan hat! Haben Sie denn kein Mitleid?!«
»Ich billige Mord nicht«, murmelte Poirot.
Peter Lord starrte ihn an, schaute weg, starrte wieder und brach schließlich in Lachen aus.
»So etwas zu sagen – so etwas Braves, Korrektes. Wer verlangt von Ihnen, dass Sie es billigen? Ich verlange nicht, dass Sie lügen! Die Wahrheit ist die Wahrheit. Wenn Sie etwas finden, das zugunsten eines Angeklagten spricht, wären Sie doch nicht geneigt, es zu unterdrücken, weil er schuldig ist, wie?«
»Gewiss nicht.«
»Also, warum zum Teufel können Sie nicht tun, was ich von Ihnen verlange?«
»Mein Freund, ich bin vollkommen bereit, es zu tun…«
9
P eter Lord starrte ihn an, nahm ein Taschentuch heraus, wischte sich übers Gesicht und warf sich in einen Sessel. »Uff!«, sagte er. »Sie haben mich ordentlich bearbeitet! Worauf wollten Sie eigentlich hinaus?«
»Ich machte mir ein Bild vom Fall Elinor Carlisle. Jetzt kenne ich ihn. Mary Gerrard wurde Morphium verabreicht, und soviel ich sehen kann, muss sie es mit den belegten Broten bekommen haben. Niemand hat diese Brote berührt außer Elinor Carlisle. Elinor Carlisle hatte ein Motiv, Mary Gerrard zu töten, ist, Ihrer Meinung nach, fähig, Mary Gerrard zu töten, und hat, aller Wahrscheinlichkeit nach, Mary Gerrard getötet. Ich sehe keinen Grund, etwas anderes zu glauben.
Das, mein Freund, ist die eine Seite des Falles. Nun wollen wir die Sache andersherum angehen: Wenn Elinor Carlisle Mary Gerrard nicht tötete, wer hat es getan? Oder hat Mary Gerrard Selbstmord begangen?«
Peter Lord setzte sich auf, die Stirn gerunzelt.
»Sie waren vorhin nicht ganz genau.«
»Ich? Nicht genau?«
Poirot klang beleidigt.
Peter Lord fuhr unbeirrt fort: »Nein. Sie sagten, niemand außer Elinor Carlisle habe diese Brote berührt. Das wissen Sie nicht.«
»Es war niemand sonst im Haus.«
»Soweit wir es wissen! Sie vergessen eine kurze Zeitspanne. Die Zeit, in der Elinor Carlisle das Haus verließ, um ins Pförtnerhaus hinunterzugehen. Während dieser Zeit standen die Brote auf einem Teller im Anrichteraum, und jemand könnte etwas mit ihnen gemacht haben.«
Poirot tat einen tiefen Atemzug.
»Sie haben Recht, mein Freund. Ich gebe es zu. Es gab eine Zeit, in der jemand Zutritt zu dem Teller mit den Broten haben konnte; das heißt, was für eine Art Mensch…« – Er machte eine Pause. »Betrachten wir einmal diese Mary Gerrard. Jemand, nicht Elinor Carlisle, wünscht ihren Tod. Warum? Hat jemand durch ihren Tod etwas zu gewinnen? Hatte sie Geld zu hinterlassen?«
Peter Lord schüttelte den Kopf.
»Jetzt nicht. In einem Monat hätte sie zweitausend Pfund gehabt. Elinor Carlisle gab ihr diese Summe, weil sie dachte, ihre Tante würde es gewünscht haben. Aber die Erbformalitäten sind noch nicht abgeschlossen.«
»Also können wir das Geldmotiv ad acta legen. Mary Gerrard war schön, sagen Sie. Da gibt es immer Komplikationen. Hatte sie Verehrer?«
»Wahrscheinlich. Ich weiß nicht viel davon.«
»Wer könnte das wissen?«
Peter Lord grinste.
»Da werde ich Sie zu Schwester Hopkins schicken. Die weiß Bescheid über alles, was in Maidensford vorgeht.«
»Ich wollte Sie schon bitten, mir Ihren Eindruck von den beiden Pflegerinnen zu schildern.«
»Nun, die O’Brien ist Irin, gute Pflegerin, tüchtig, ein wenig albern, kann boshaft sein,
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