Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Morphium

Morphium

Titel: Morphium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
des Tisches hinweg, der sie trennte, schaute Poirot sie forschend an. Sie waren allein. Durch eine Glaswand beobachtete sie ein Gefängniswärter.
    Poirot sah das sensible, gescheite Gesicht und die klare Modellierung von Ohren und Nase. Feine Linien; ein stolzes, sensibles Geschöpf, voller Selbstbeherrschung und – Fähigkeit zur Leidenschaft.
    »Ich bin Hercule Poirot. Dr. Peter Lord meinte, ich könnte Ihnen helfen.«
    »Peter Lord«, murmelte Elinor. Einen Augenblick lang lächelte sie ein wenig traurig. Dann fuhr sie förmlich fort:
    »Sehr freundlich von ihm, aber ich glaube nicht, dass es etwas gibt, das Sie tun könnten.«
    »Würden Sie meine Fragen beantworten?«
    Sie seufzte.
    »Glauben Sie mir – wirklich – es wäre besser, sie nicht zu stellen. Ich bin in guten Händen. Mr Seddon war äußerst nett. Ich bekomme einen berühmten Verteidiger.«
    »Er ist nicht so berühmt wie ich!«, erklärte Poirot ruhig.
    »Er hat einen glänzenden Ruf«, murmelte Elinor.
    »Ja, im Verteidigen von Verbrechern. Ich habe einen glänzenden Ruf – im Nachweisen der Unschuld.«
    Sie hob endlich ihre Augen – Augen von einem lebhaften, wunderschönen Blau; sie blickten gerade in die von Poirot.
    »Glauben Sie denn, dass ich unschuldig bin?«
    »Sind Sie es?«
    Elinor lächelte, ein ironisches kleines Lächeln.
    »Es ist sehr leicht, mit ›Ja‹ zu antworten, nicht?«
    Er sagte unerwartet:
    »Sie sind sehr müde, nicht wahr?«
    Ihre Augen wurden größer.
    »Ja… ja – mehr als irgendetwas anderes. Wieso wussten Sie das?«
    »Ich wusste es…«, sagte Poirot freundlich.
    Er schaute sie eine Weile schweigend an, dann fuhr er fort: »Ich habe Ihren – sagen wir Vetter, es ist bequemer – gesprochen, Mr Roderick Welman.«
    In das blasse stolze Gesicht stieg langsam das Blut. Damit war eine seiner Fragen beantwortet, ohne dass er sie gestellt hatte.
    Ihre Stimme bebte nur ganz wenig, als sie sagte: »Sie haben Roddy gesprochen?«
    »Er tut alles für Sie, was er kann.«
    »Ich weiß.« Sie sprach schnell und leise.
    »Ist er arm oder reich?«, fragte Poirot.
    »Roddy? Er hat nicht sehr viel eigenes Geld.«
    »Und ist er verschwenderisch?«
    Sie sagte beinahe zerstreut:
    »Wir dachten beide, dass es nicht viel ausmachte. Wir wussten, eines Tages…« Sie hielt inne.
    »Sie rechneten mit der Erbschaft? Das ist verständlich.«
    Nach einer Pause fuhr er fort:
    »Sie haben vielleicht von dem Resultat der Autopsie Ihrer Tante gehört. Sie starb an Morphiumvergiftung.«
    Elinor Carlisle erklärte kalt:
    »Ich habe sie nicht getötet.«
    »Haben Sie ihr vielleicht geholfen, sich selbst zu töten?«
    »Ob ich ihr geholfen –? Ah, ich verstehe. Nein.«
    »Wussten Sie, dass Ihre Tante kein Testament gemacht hatte?«
    »Nein, davon hatte ich keine Ahnung.«
    Ihre Stimme klang nun flach – monoton. Die Antwort kam mechanisch, uninteressiert.
    »Und Sie selbst, haben Sie ein Testament gemacht?«, fragte Poirot weiter.
    »Ja.«
    »Machten Sie es an dem Tag, an dem Dr. Lord mit Ihnen darüber sprach?«
    »Ja.«
    Wieder diese rasche Blutwelle.
    »Wem haben Sie Ihr Vermögen hinterlassen, Miss Carlisle?«
    »Ich habe alles Roddy hinterlassen – Roderick Welman«, sagte Elinor ruhig.
    »Weiß er das?«
    Sie antwortete schnell: »Gewiss nicht.«
    »Sie haben es nicht mit ihm besprochen?«
    »Natürlich nicht. Es wäre ihm wohl sehr unangenehm gewesen.«
    »Wer sonst kennt den Inhalt Ihres Testaments?«
    »Nur Mr Seddon – und seine Angestellten, vermutlich.«
    »Hat Mr Seddon das Testament für Sie aufgesetzt?«
    »Ja. Ich schrieb ihm deswegen noch am selben Abend – am Abend des Tages, an dem Dr. Lord zu mir darüber sprach.«
    »Haben Sie Ihren Brief selbst zur Post gebracht?«
    »Nein. Er ging mit den anderen Briefen vom Haus zur Post.«
    »Sie schrieben ihn, steckten ihn in einen Umschlag, versiegelten ihn, klebten eine Marke darauf und legten ihn in den Postbeutel – so war es? Sie zögerten nicht, um noch mal alles zu überlegen?«
    Elinor starrte ihn an und sagte dann:
    »Nachdem ich die Marken geholt hatte, las ich den Brief noch einmal durch, um sicher zu sein, dass ich mich auch klar ausgedrückt hatte.«
    »War jemand bei Ihnen im Zimmer?«
    »Nur Roddy.«
    »Wusste er, was Sie taten?«
    »Ich sagte Ihnen schon – nein.«
    »Hätte jemand den Brief lesen können, während Sie das Zimmer verlassen hatten?«
    »Ich weiß nicht… Jemand von den Dienstboten meinen Sie? Vermutlich, wenn zufällig jemand hereingekommen

Weitere Kostenlose Bücher