Morphium
genug.«
»Sie glauben, dass sie es getan hat?«
Marsden, ein erfahrener, freundlich aussehender Mann, nickte mehrmals.
»Nicht daran zu zweifeln. Gab das Gift in das oberste Brot. Ein kaltblütiges Frauenzimmer.«
»Sie haben keine Zweifel? Gar keine Zweifel?«
»O nein! Ich bin ganz sicher. Ein angenehmes Gefühl, wenn man wirklich sicher ist. Wir begehen ebenso ungern Irrtümer wie irgendjemand anderer. Wir sind nicht nur darauf aus, dass die Verhandlung mit einer Verurteilung endigt, wie manche Leute denken. Diesmal kann ich mit einem ruhigen Gewissen vorgehen.«
Poirot sagte langsam:
»Ich verstehe.«
Der Mann von Scotland Yard sah ihn neugierig an.
»Gibt es etwas auf der anderen Seite?«
Langsam schüttelte Poirot den Kopf.
»Bis jetzt nicht. Bisher deutet alles, was ich in dem Fall herausgebracht habe, auf Elinor Carlisle als die Schuldige hin.«
»Sie ist auch schuldig, sicher«, bekräftigte Marsden mit heiterer Gewissheit.
»Ich möchte sie gern sprechen«, erklärte Poirot.
Chefinspektor Marsden lächelte nachsichtig.
»Sie stehen ja mit dem gegenwärtigen Innenminister sehr gut, nicht? Da wird es leicht genug sein.«
16
P eter Lord fragte: »Nun?«, und Hercule Poirot antwortete: »Es steht nicht gut.«
»Sie haben nichts finden können?«
»Elinor Carlisle tötete Mary Gerrard aus Eifersucht… Elinor Carlisle tötete ihre Tante, um ihr Geld zu erben… Elinor Carlisle tötete ihre Tante aus Mitleid… Mein Freund, Sie haben die Wahl!«
»Sie reden Unsinn!«
»Wirklich?«
Lords sommersprossiges Gesicht sah zornig aus.
»Was soll das alles heißen?«, fragte er.
»Halten Sie das für möglich?«, fragte Poirot zurück.
»Halte ich was für möglich?«
»Dass Elinor Carlisle den Anblick des Elends ihrer Tante nicht ertragen konnte und ihr deshalb sterben half.«
»Unsinn!«
»Ist es wirklich Unsinn? Sie haben mir selbst erzählt, dass die alte Dame Sie gebeten hat, ihr zu helfen.«
»Sie hat es nicht ernst gemeint. Sie wusste, dass ich nichts Derartiges tun würde.«
»Immerhin hat sie daran gedacht. Elinor Carlisle hätte ihr helfen können.«
Peter Lord ging auf und ab. Endlich sagte er:
»Ich glaube, eine Frau könnte so etwas für ihren Gatten tun, oder für ihr Kind, oder vielleicht für ihre Mutter. Aber ich glaube nicht, dass sie es für eine Tante täte, mag sie sie noch so gern haben. Und ich glaube, sie würde es auf jeden Fall nur tun, wenn die Betreffende unerträgliche Schmerzen litte.«
Poirot sagte nachdenklich:
»Vielleicht haben Sie Recht.«
Dann fügte er hinzu:
»Glauben Sie, man könnte Roderick Welman so weit bringen, dergleichen zu tun?«
»Er hätte nie den Mut dazu!«
Lords Stimme klang verächtlich.
Poirot murmelte: »Ich weiß nicht… In mancher Hinsicht, mon cher, unterschätzen Sie diesen jungen Mann.«
»Oh, er ist gescheit und intellektuell und all das, sicherlich.«
»Ganz richtig«, bestätigte Poirot. »Und er hat Charme… Ja, den habe sogar ich gespürt.«
»Wirklich? Ich nie!« Doch dann sagte Peter Lord ernst: »Sagen Sie mal, Poirot, gibt es denn gar nichts Entlastendes?«
»Mit meinen Untersuchungen habe ich bisher kein Glück gehabt! Sie führen immer zu demselben Punkt zurück. Niemand hatte von Mary Gerrards Tod Gewinn zu erwarten. Niemand hasste Mary Gerrard – außer Elinor Carlisle. Es gibt nur eine Frage, die wir uns vielleicht stellen könnten. Hasste jemand Elinor Carlisle?«
Langsam schüttelte Dr. Lord den Kopf.
»Nicht, dass ich wüsste… Sie meinen, dass jemand das Verbrechen auf sie schieben wollte?«
Poirot nickte.
»Es ist ein weit hergeholter Gedanke, und wir haben nichts, das ihn stützen würde… außer vielleicht gerade die Lückenlosigkeit aller Indizien gegen sie.«
Er erzählte dem andern von dem anonymen Brief.
»Sehen Sie«, sagte er, »das macht es möglich, eine schlüssige Beweiskette gegen sie herzustellen. Sie wurde gewarnt, dass sie aus dem Testament ihrer Tante vollständig verschwinden könnte – dass dieses Mädchen, eine Fremde, das ganze Geld erben könnte. Als also ihre Tante in ihrer stammelnden Sprache nach einem Rechtsanwalt verlangte, ließ Elinor es nicht darauf ankommen und sorgte dafür, dass die alte Dame noch in derselben Nacht starb!«
»Und wie ist es mit Roderick Welman? Er hatte ja auch etwas zu verlieren?«
Poirot schüttelte den Kopf.
»Nein, es war nur zu seinem Vorteil, wenn die alte Dame ein Testament machte. Wenn sie ohne Testament starb, bekam er
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