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Morphium

Morphium

Titel: Morphium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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seltsame Atmosphäre: Erinnerungen und Vorbedeutungen schienen lebendig zu werden.
    Peter Lord öffnete eines der Fenster. Er sagte mit einem leichten Schauder:
    »Dieser Raum ist wie eine Gruft…«
    »Wenn die Wände sprechen könnten…«, murmelte Poirot. »Es hat sich alles hier in diesem Haus abgespielt – die ganze Geschichte, nicht?«
    Er machte eine Pause, dann sagte er leise:
    »Hier in diesem Zimmer starb Mary Gerrard. Sie fanden sie in jenem Stuhl am Fenster sitzend… Ein junges Mädchen – schön – romantisch. Schmiedete es Pläne? War es etwas Besonderes und tat vornehm? War es sanft und lieb, ohne alle Hintergedanken… eben nur ein junges Ding, das sein Leben begann… ein Mädchen wie eine Blume?…«
    »Was immer Mary war«, sagte Peter Lord, »Jemand wünschte ihren Tod.«
    »Ich möchte wissen…«, murmelte Poirot.
    Lord starrte ihn an.
    »Was meinen Sie?«
    Poirot schüttelte den Kopf.
    »Noch nicht.«
    Er wandte sich um.
    »Wir sind durch das ganze Haus gegangen. Wir haben alles gesehen, was hier zu sehen ist. Gehen wir nun zum Pförtnerhaus hinunter.«
    Auch hier war alles in Ordnung. Aller persönliche Besitz war ausgeräumt. Die beiden Männer blieben nur ein paar Minuten. Als sie in die Sonne hinaustraten, berührte Poirot die Blätter einer Rose, die an einem Spalier emporwuchs, sie war rosa und duftete süß.
    »Kennen Sie den Namen dieser Rose? Sie heißt Zephyrine Droughin, mein Freund.«
    »Na, und?«, fragte Lord gereizt.
    »Als ich bei Elinor Carlisle war, sprach sie von Rosen. Damals sah ich zum ersten Mal – nicht Tageslicht, aber den kleinen Lichtschein, den man vom Zug aus sieht, wenn man im Begriff ist, aus einem Tunnel herauszukommen.«
    »Was sagte sie denn?«
    »Sie erzählte mir von ihrer Kindheit, wie sie hier im Garten spielten und sie und Roderick Welman auf verschiedenen Seiten kämpften. Sie waren Feinde, denn er zog die weiße Rose von York – kalt und streng – vor, und sie liebte rote Rosen, die rote Rose von Lancaster. Rote Rosen, die Duft haben und Farbe und Leidenschaft und Wärme. Und das, mein Freund, ist der Unterschied zwischen Elinor Carlisle und Roderick Welman.«
    »Erklärt das etwas?«
    »Es erklärt Elinor Carlisle – die leidenschaftlich und stolz ist und einen Mann wahnsinnig liebte, der unfähig war, sie zu lieben…«
    »Ich verstehe Sie nicht…«
    »Aber ich verstehe sie… Ich verstehe sie beide. Nun, mein Freund, wollen wir noch einmal zu der kleinen Lichtung im Gebüsch gehen.«
    Als sie an die Stelle kamen, stand Poirot eine Weile regungslos da, und Peter Lord beobachtete ihn.
    Dann stieß der kleine Detektiv plötzlich einen ärgerliche Seufzer aus.
    »Es ist wirklich so einfach. Sehen Sie denn nicht, mein Freund, den verhängnisvollen Irrtum in Ihren Schlüssen? Nach Ihrer Theorie kam jemand, offenbar ein Mann, den Mary Gerrard in Deutschland gekannt hatte, mit der Absicht hierher, sie zu töten. Aber schauen Sie doch nur, mein Freund, schauen Sie! Gebrauchen Sie die zwei Augen Ihres Leibes, da Ihnen die Augen Ihres Geistes nicht zu dienen scheinen! Was sehen Sie von hier aus: ein Fenster, nicht wahr? Und an jenem Fenster – ein Mädchen. Ein Mädchen, das Brote schmiert. Elinor Carlisle. Und nun denken Sie doch nur eine Sekunde nach: Was um alles in der Welt sagte dem beobachtenden Mann, dass diese Brote Mary Gerrard angeboten werden? Niemand wusste das außer Elinor Carlisle selbst – niemand! Nicht einmal Mary Gerrard oder Schwester Hopkins.
    Was also folgt daraus? Wenn ein Mann hier auf der Lauer lag und nachher durchs Fenster hineinkletterte und Brote vergiftete? Was dachte er? Er dachte, er muss gedacht haben, dass die Brote von Elinor Carlisle selbst gegessen würden…«
     

20
     
    P oirot klopfte an die Tür von Schwester Hopkins’ Häuschen. Sie öffnete, den Mund voll Kuchen.
    Sie sagte scharf:
    »Nun, Monsieur Poirot, was wünschen Sie denn jetzt?«
    »Darf ich eintreten?«
    Sichtlich widerstrebend trat Schwester Hopkins zurück, und Poirot durfte die Schwelle überschreiten. Dann besann sie sich auf ihre Gastgeberinnenpflichten, und ein paar Minuten später betrachtete Poirot mit Schrecken eine Tasse voll tintigen Gebräus in seinen Händen.
    »Eben fertig – gut und stark!«, erklärte Schwester Hopkins. Poirot rührte seinen Tee vorsichtig um und nahm heroisch einen Schluck.
    »Haben Sie eine Idee, weshalb ich hergekommen bin?«
    »Ich habe nie behauptet, ich sei eine Gedankenleserin.«
    »Ich bin gekommen, um

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