Morphium
dann fragte er:
»Sie bleiben bei Ihrer Behauptung, dass das Morphium im Handkoffer war, als Sie am 28. Juni nach Hunterbury kamen?«
»Jawohl, ich hatte es bei mir.«
»Und wie, wenn nachher Schwester O’Brien unter Eid aussagt, dass Sie vermutet hätten, es zu Hause gelassen zu haben?«
»Es war in meinem Koffer; ich bin dessen sicher.«
Sir Edwin seufzte.
»Sie waren gar nicht beunruhigt über das Verschwinden des Morphiums?«
»Nein – nicht beunruhigt.«
»Ah, also waren Sie ganz ruhig, trotz der Tatsache, dass eine große Menge einer gefährlichen Droge verschwunden war?«
»Ich dachte zu jener Zeit nicht daran, dass jemand es genommen haben könnte.«
»Ich verstehe. Sie konnten sich gerade im Augenblick nicht erinnern, was Sie damit getan hatten?«
»Durchaus nicht. Es war im Koffer.«
»Und Sie sind überhaupt nicht unruhig – und melden den Verlust offiziell nicht?«
»Ich dachte, es sei alles in Ordnung.«
»Ich sage Ihnen, dass, wenn das Morphium wirklich so verschwunden wäre, Sie als gewissenhafte Person verpflichtet gewesen wären, den Verlust offiziell zu melden.«
Schwester Hopkins, sehr rot im Gesicht:
»Nun, ich tat es eben nicht.«
»Das war sicher ein schwerwiegendes Versäumnis Ihrerseits! Sie scheinen Ihre Verantwortung nicht sehr ernst zu nehmen. Haben Sie schon oft diese gefährlichen Drogen verlegt?«
»Es ist noch nie passiert.«
So ging das noch einige Minuten weiter. Schwester Hopkins, verwirrt, hochrot im Gesicht, sich selbst widersprechend… eine leichte Beute für Sir Edwins Geschicklichkeit.
»Ist es Tatsache, dass am Donnerstag, dem 6. Juli, die verstorbene Mary Gerrard ein Testament machte?«
»Ja.«
»Warum tat sie das?«
»Weil sie es für das Richtige hielt. Und das war es auch.«
»Ist dies das Testament? Unterzeichnet von Mary Gerrard, als Zeugen Emily Biggs und Roger Wade, Konditorei-Angestellte, alles, was sie bei ihrem Tode besaß, Mary Riley, Schwester von Elise Riley, hinterlassend?«
»Das ist richtig.«
Es wurde den Geschworenen gereicht. »Hatte Mary Gerrard Ihres Wissens viel Besitz zu hinterlassen?«
»Damals nicht.«
»Aber sie sollte binnen Kurzem etwas bekommen? Ist es nicht Tatsache, dass eine beträchtliche Summe – zweitausend Pfund – Mary von Miss Carlisle geschenkt wurde?«
»Ja.«
»Es bestand kein Zwang für Miss Carlisle, das zu tun? Es war reine Großmut ihrerseits?«
»Sie tat es aus freiem Willen, ja.«
»Aber sicherlich hätte sie, wenn sie Mary Gerrard, wie behauptet wird, gehasst hätte, ihr doch nicht aus freien Stücken eine so große Summe Geldes gegeben.«
»Man kann nicht wissen, wie es sich damit verhält.«
»Was meinen Sie mit dieser Antwort?«
»Ich meine gar nichts.«
»Ganz richtig. Nun, hatten Sie im Ort reden gehört über Mary Gerrard und Mr Roderick Welman?«
»Er war verliebt in sie.«
»Haben Sie irgendeinen Beweis dafür?«
»Ich hab es eben gewusst, das ist alles.«
»Ah – Sie ›haben‹ es eben gewusst. Das ist nicht sehr überzeugend für die Geschworenen, fürchte ich. Haben Sie eigentlich mal gesagt, dass Mary nichts mit ihm zu tun haben wollte, weil er mit Miss Elinor verlobt war, und dass sie ihm das in London gesagt habe?«
»Das hat sie mir erzählt.«
Sir Samuel Attenbury nahm das Verhör auf.
»Als Mary Gerrard mit Ihnen die Abfassung des Testamentes besprach, schaute da die Angeklagte zum Fenster herein?«
»Jawohl.«
»Was sagte sie?«
»Sie sagte: ›Sie machen also Ihr Testament, Mary. Das ist komisch.‹ Und sie lachte. Lachte und lachte. Und meiner Meinung nach«, fügte die Zeugin bösartig hinzu, »kam ihr in diesem Augenblick die Idee. Die Idee, das Mädel aus dem Weg zu räumen. In diesem Augenblick dachte sie an Mord.«
Der Richter sagte scharf:
»Beschränken Sie sich darauf, die Fragen zu beantworten, die an Sie gerichtet werden. Der letzte Teil der Antwort ist aus dem Protokoll zu streichen…«
Elinor dachte: Wie seltsam… Wenn jemand sagt, was wahr ist, streichen sie’s aus… – Sie hätte beinahe hysterisch gelacht.
Schwester O’Brien machte ihre Aussage.
»Teilte Schwester Hopkins Ihnen am Morgen des 29. Juni etwas mit?«
»Ja. Sie sagte, aus ihrem Koffer fehle ein Röhrchen mit Morphium.«
»Was taten Sie?«
»Ich half ihr, danach zu suchen.«
»Aber Sie konnten es nicht finden?«
»Nein.«
»Ihres Wissens hatte der Koffer über Nacht in der Halle gestanden?«
»Ja.«
»Mr Welman und die Angeklagte waren beide im Haus zur Zeit
Weitere Kostenlose Bücher