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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Pharaonenrüstung hatte bei seiner Flucht keinen Orientierungsschnipsel für mich hinterlassen. Wenn ich Pech hatte, würde ich tage- oder sogar wochenlang durch dieses Labyrinth irren, ohne je einen Ausgang zu finden. Und auf meine Konversationsversuche hatte bisher keiner der Katakombenbewohner reagiert.
    Ich musterte den Mann vor mir. Seine Uniform war kaum noch zu erkennen, er sah aus wie zugeschneit. Man musste in Kopfhöhe nur noch eine Möhre durch den Schimmel schieben und zwei Kiesel als Knopfaugen in die weiße Schicht drücken …
    Ich ließ mich vor ihm nieder und begann, das Geflecht von seinem Kopf zu entfernen. Darunter kam das Gesicht eines Mannes zum Vorschein, dessen Alter ich auf Mitte dreißig schätzte. Er trug die Montur eines griechischen Freiheitskämpfers, wie er Anfang des 19. Jahrhunderts gegen die Türken ins Feld gezogen war. Seine Lider standen unter der Pilzschicht offen, der Schimmel hatte sich auch über die Augen gelegt. Ich zögerte, dann zupfte ich ihm das Zeug mit spitzen Fingern heraus. Es bedeutete keinen Unterschied, denn der Unglückliche sah mich sowieso nicht. Abwesend und leer war sein Blick in die Ferne gerichtet. Auch in den Nasenhöhlen entdeckte ich die widerspenstige Substanz. In mir keimte ein schrecklicher Verdacht, und als ich mit beiden Daumen vorsichtig seinen Mund öffnete, wurde er zu grausamer Gewissheit: Der Pilz hatte seinen Körper vollständig durchwuchert. Es sah aus, als hätte der arme Kerl den Mund voll weißer Daunen.
    Ich schüttelte mich, und hätte ich nicht seit Tagen keinen Bissen gegessen, hätte ich mich in einem spontanen Bedürfnis in den Schoß des Unglücklichen erbrochen. So blieb es lediglich bei schmerzvollen Magenkrämpfen und vorübergehender Atemnot, als ich dem Soldaten ins Gesicht blickte. Vorsichtig klappte ich seinen Mund wieder zu. Der Kiefer ließ sich mühelos schließen, und als ich etwas Druck gegen die Stirn des Mannes ausübte, verformte sie sich nach innen, als wäre der gesamte Körper lediglich eine mit Schaumstoff gefüllte Puppe. Seine Knochen, falls sie überhaupt noch existierten, waren weich wie Gummi.
    Doch er lebte!
    Als ich meine Hände zurückzog, sah ich, wie er blinzelte. Dann schien er mich wahrzunehmen, und seine Pupillen wanderten empor, bis er mich ansah. Ohne einen Ausdruck in seinen Augen oder eine Gefühlsregung in seinem Gesicht. Ich kroch ein paar Meter zurück und beobachtete erschüttert, wie sein Blick meinen Bewegungen folgte. Ich setzte mich vor ihn hin, verschränkte die Arme vor meinen ans Kinn gezogenen Knien, und starrte ihn an. Stundenlang, so kam es mir vor, kauerte ich vor ihm und leistete ihm schweigend Gesellschaft.
    In was für einen Albtraum bist du hier hineingeraten, Krispin? Wer denkt sich etwas derart Abartiges aus? Ist es denn, bei Gott, wirklich die Hölle?
    Menschen wurden aus der Blüte ihres Lebens gerissen, um so zu enden wie dieser arme Teufel vor mir. Wie Sahia oder Leainti im Pechsee oder Meliosch. Wie das bemitleidenswerte Bündel Mensch, das als lebende Fackel die Mauern des Pechsees erhellt hatte, oder jene armseligen, willenlosen Kreaturen auf der Temperstraße, die in völliger Unterwürfigkeit um ihr erbärmliches Leben liefen, rastlos, ruhelos, ständig in der Angst, zu stürzen und von den Tempern angefallen zu werden. Und dann? Was passierte mit denen, die von den Tempern gefressen wurden?
    Falls es eine Strafe war, dann wofür? Himmel, wofür? Oder war es doch ein Experiment des Militärs? Oder das Freizeitvergnügen außerirdischer Misanthropen mit einem Faible für Dantes Visionen? Wer waren die Chroner? Waren sie identisch mit dem schwarzen Volk der Kemahor? Hatten sie dieses mythologische Irrenhaus erschaffen? Und falls nicht, wem unterstanden sie? Wesen wie Meret? Den Agarepth? Wer waren die Agarepth? Und woher kamen sie?
    Und wo zum Teufel bist du hier, Krispin? Verschwinde von diesem Ort! Und wenn es das Letzte ist, was du in deinem Leben tust: Verschwinde von hier!
    Meine Gliedmaßen schienen Tonnen zu wiegen, jede Bewegung kam mir vor, als rühre sich eine riesige, schwerfällige Maschine. Ich seufzte, schloss die Augen, ließ mich zurücksinken und ruhte mich aus. Der Lehmboden war angenehm kühl. Ich reckte mich, dann blieb ich liegen und versuchte, den Wahnsinn um mich herum für kurze Zeit zu vergessen; ohne die Angst, von den Chronern oder möglichen Spähern Merets entdeckt zu werden. Wer wusste, was diese Schlangenkreatur nicht alles in Bewegung

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