Morphogenesis
näherte sich ihm mit geballten Fäusten. »Das ist nicht real«, presste er zwischen den Zähnen hervor. »Geh zum Teufel! Geht alle beide zum Teufel!«
Ehe die Schwester einschreiten konnte, hatte er den Infusionsständer emporgerissen und war nach vorne gestürzt, entschlossen, die Gestalt des Gehenkten niederzustrecken – und torkelte durch sie hindurch ins Nichts. Ein verwehendes mechanisches Lachen begleitete seinen Sturz in die Tiefe.
Ich wusste nicht, wie lange ich auf dem lehmigen Boden gelegen hatte. Geweckt wurde ich durch einen heftigen Schlag gegen die Rippen. Im ersten Moment fühlte ich mich, als hätte man mir mehrere Liter Blut abgezapft. An ein Bewegen der Muskeln war nicht zu denken, so schwer und kraftlos waren sie. Mühsam öffnete ich die Augen und blinzelte in die Höhe. Ein Schleier lag über meinen Pupillen und verzerrte alles in eine kafkaeske Perspektive. Über mir ragte ein bizarrer Schemen auf, der sich in diesem Augenblick zu mir hinabbeugte. Er sah aus wie ein verkleinertes Ungeheuer aus einem japanischen Monsterfilm.
»Glückwunsch, du bist noch halbwegs rein«, sprach das Ungetüm und richtete sich wieder auf. »Hast Glück gehabt, dass du nicht zu weit vom Hauptgang abgekommen bist, sonst hätte ich dich nie gefunden.« Das Wesen bückte sich, packte mich unter den Achseln und setzte mich auf. »Dann hättest du nach gewisser Zeit so ausgesehen wie der dort.« Es deutete auf den Uniformierten, der in der gleichen Haltung an der Wand saß, wie ich ihn in Erinnerung hatte.
»Wieso lassen Sie mich nicht in Ruhe«, beschwerte ich mich. »Ich bin müde.«
»Kamerad, mal davon abgesehen, dass hier die Zeit nicht als solche verstanden wird, kann ich dir sagen, dass du hier fast eine Woche lang gelegen hast.« Das Ungeheuer, das kaum größer sein konnte als ich selbst, befreite mich von einem zarten Spinngewebe, das sich über meinen gesamten Körper gelegt hatte.
»Ich habe doch eben erst die Augen zu gemacht …«, murmelte ich.
Ein Schnauben war die Antwort. »Ich wäre schon viel früher gekommen, um nach dir zu sehen, doch ich hatte Angst, die Chroner hätten dich erwischt und würden nun das restliche Labyrinth nach mir absuchen. Wie fühlst du dich?«
»Beschissen.« Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen und sah meinen angeblichen Retter an. Es war der Kostümierte aus der Tempersektion. »Was ist denn passiert? Eine Woche, sagen Sie?«
»Mindestens«, nickte er. »Und lass endlich dieses alberne Gesieze. Man könnte meinen, du warst vor deinem Tod Finanzbeamter.« Er half mir, mich auf zwei wackelige Beine zu erheben. »Hast du ihn etwa angefasst?«, erkundigte er sich, als er meine Hände betrachtete.
Ich tat es ebenfalls und erschrak. Sie waren mit weißem Schimmel bedeckt, der an den Fingerspitzen am dichtesten wuchs. Es sah aus, als hätte man Raupenkokons über sie gestülpt. »Was ist das für ein Zeug?«
»Jedenfalls nicht das, für das du es wahrscheinlich hältst. Zum Glück ist es nicht allzu weit bis zum Ausgang.«
Ich stützte mich an seiner Rüstung ab und betrachtete den Körper des Soldaten. Das Pilzgeflecht hatte bereits wieder einen Großteil dessen überwuchert, was ich liebevoll freigelegt hatte.
»Der Schimmel ist in seinem gesamten Körper«, sagte ich leise. »Alles in ihm besteht nur noch aus diesem grauenhaften Pilz.«
»Hmm …«, machte der Kostümierte. »Das ist kein Pilz, mein Freund, das sind Medinen; mikroskopisch kleine Würmer.«
»Würmer?«
»Parasiten. Du solltest deine Hände säubern, ehe wir den nächsten Sektor betreten, sonst hackt man sie dir ab.«
Hastig zupfte ich den Flaum von meinen Fingern, dann rieb ich sie an den Resten meiner Kleidung, bis ich das Gefühl hatte, meine Haut löse sich vom Fleisch. Skeptisch musterte ich schließlich meine Hände.
»Was war das für ein Ding über dem Tempersektor?«
»Das? Ein Parabolid.« Mein Retter nickte vielsagend, als gäbe es nichts Schlimmeres auf dieser Welt, dann senkte er den Blick und wandte sich ab. »Ein Parabolid …«
Offensichtlich stand ihm nicht der Sinn danach, sein Wissen zu teilen. Es reichte ihm anscheinend, mich gewarnt zu haben. Dass von diesen Flugobjekten eine nicht unerhebliche Bedrohung ausging, hatte ich in den verängstigten Gesichtern der Menschen gelesen …
»Auf unserer Flucht nannten Sie sich Byron«, erinnerte ich mich. »Ist das Ihr Name?«
Der Kostümierte kratzte sich unter dem Harnisch. »In diesen Gefilden nennt man mich
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