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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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setzte, um mich zurückzugewinnen.
    Wer wusste das schon.
    Wer wusste …

 

     
     
    Zwei kräftige Hände packten Ka und hievten ihn in die Höhe. Schwankend blieb er stehen und starrte die Schwester an, dann näherte er sich der geschlossenen Tür und legte seine Handflächen an das Holz.
    »Das eben auf dem Tisch«, murmelte er, »war das – ich?«
    »Nun kommen wir der Sache endlich näher«, lobte ihn seine Aufseherin.
    Kas Blick geisterte über die stummen Wesen über den Querbalken. »War das, was ich gesehen habe, die Gegenwart oder die Zukunft?«
    »Was würde das ändern? Bald gibt es für Sie so viele Antworten, dass diese eine Sie gar nicht mehr interessieren wird.« Die Schwester ging zu einer Tür an der gegenüberliegenden Wand, öffnete sie und sagte: »Kommen Sie, sehen Sie.«
    Der neue Raum war fensterlos und unmöbliert. Ein Gestank von Exkrementen und Urin verschlug Ka den Atem. Das kahle, schmutzige Gewölbe lag teilweise im Dunkeln, einzig das Licht aus dem Korridor ließ erkennen, was sich darin befand. Weit im Hintergrund hing an einem ordinären Metallgalgen eine strangulierte Gestalt, über dem Kopf einen Leinensack, die Hände hinter dem Rücken zusammengebunden. Ihre Füße waren nackt, der Körper jedoch steckte in einem hellgrauen Overall. Unter dem Hingerichteten war ein runder Abfluss in den Boden eingelassen. Urin und dünnflüssiger Stuhl tropften aus den Hosenbeinen des Erhängten und rannen in das kleine Loch. Auf der Brust des Overalls prangte die Zeichenkombination 2005KH3/22. Ka musste nicht erst auf seine eigene Krankenhauskluft blicken, um diese Nummer wiederzuerkennen.
    »Warum tun Sie mir das an?«, fragte er heiser. »Was bezwecken Sie damit?«
    »Bezeichnen Sie es als visuelle Metapher«, sagte die Schwester. »Irgendwann bleibt selbst uns nichts anderes mehr übrig als die Wahrheit.« Sie musterte Ka. »Erinnern Sie sich nun?«
    Er betrachtete die erhängte Gestalt.
    »Erinnern Sie sich?«
    Ka schüttelte fast schon trotzig den Kopf. »Nein …«
    »Früher oder später wirst du es«, erklang eine mächtige, mechanische Stimme.
    Hinter Ka hatte sich eine weitere Tür geöffnet. Bekleidet mit Turban und schmutzigweißem Dishdascha, stand ein hagerer Mann im Türrahmen und blickte ausdruckslos zur gegenüberliegenden Wand. Der Raum hinter ihm lag in vollkommener Dunkelheit.
    »Rahmed?« Ka trat zögernd auf die Gestalt zu, studierte ihr verstümmeltes Gesicht. »Rahmed Hanzah. Ja, ich erinnere mich …«
    Der Mann nickte. »Am Ende erinnern sich alle.«
    »Aber – du bist tot!«
    Auch die übrigen Pforten glitten nun auf, bildeten mit dem finsteren Eingangstor schließlich acht nachtschwarze Rechtecke, die Ka drohend umzingelten. Die Augen der gnomenhaften Psychogone über den Türen hatten zu glühen begonnen und badeten den Raum in kaltes Licht.
    »Zu Sterben ist jedes Mal aufs Neue ein ziemlich schäbiges Erlebnis, nicht wahr, Hippolyt?«, sprach die Maschinenstimme aus Rahmeds Mund. »Selbst jetzt suchst du Wahrheit, aber finden willst du sie nur dort, wo es dir beliebt.«
    »Was hat das zu bedeuten?«, wandte Ka sich an die Schwester. Die Frau lächelte kühl, machte sich Notizen und schwieg.
    »Bedeutung spielt keine Rolle mehr«, entgegnete stattdessen Rahmed. Obwohl er redete, schien er nichts von seiner Umgebung wahrzunehmen. Sein Blick ging teilnahmslos in die Ferne. Ka streckte die Hand aus, um ihn zu berühren, aber seine Finger glitten durch das missgestaltete Gesicht hindurch wie durch eine Projektion.
    »Was sind Sie?«
    »Ein Aspekt der Wahrheit, Hippolyt. Ich bin jeder Stein dieser Welt, jeder Gedanke, jede Kreatur, jede Zeit, jede Realität. Selbst dein Blut, deine Seele, all deine Gefühle. Du bist in mir …«
    »Verschwinde!«
    »Oh, erst willst du mit mir sprechen, und kaum schenke ich dir ein wenig Beachtung, soll ich schon wieder gehen. Das ist bedauerlich, wenn auch charakteristisch für deine Spezies. Ihr seid eine schlechte Erfindung. Leider kann ich nicht gehen, Hippolyt. Du bist mit mir verbunden, auf Gedeih und Verderb.«
    »Wer …?« Ka suchte vergeblich Blickkontakt zu der Erscheinung. »Wer sind Sie?«
    In Rahmeds entstelltem Gesicht erschien ein freudloses Lächeln. »Dein lebenserhaltendes System.«
    Eine weitere Person erschien in einer der Türen. Sie trug noch immer den blut- und sekretverschmierten Sack über dem schlaff zur Seite hängenden Kopf. »Wer auch nach dem Tode an ihn glaubt, der lebt«, sprach der Erhängte.
    Ka

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