Morphogenesis
aus Flicken bestehenden Mantels vergraben. Womöglich umschloss eine von ihnen den Knauf eines Dolches oder den Griff einer Pistole.
»Sag, Byron, dein Freund …« Der Bärtige trat einen Schritt vor und schnupperte die Luft in meiner Nähe. »Wie kommt er an die Rebasche?«
»Er … fand sie in den Katakomben. Ein besitzerloses Stück, das ihm zufiel.«
»So, so …« Der Kerl betrachtete mich argwöhnisch. Ich stellte fest, dass meine Finger inzwischen frei von Medinengespinst waren, was meine Selbstsicherheit erheblich steigerte, und musterte den Fragesteller. Er war einen halben Kopf größer als ich, unwahrscheinlich hager, um nicht zu sagen: ausgemergelt, und fast kahlköpfig. Die wenigen Haare, die als dünner Saum seinen knochigen Schädel zierten, hingen in wirren Strähnen schulterlang herab. Ein verfilzter Bart wuchs ihm aus dem Gesicht bis über die Brust. Unter dem Mantel trug er ein blutverschmiertes, nachthemdähnliches Gewand, das bis zu seinen in Sandalen steckenden Füßen herabfiel. Der Gestank, der von ihm ausging, war überwältigend.
»Sag, Byron, dein Freund, kann er auch reden?«
Ich hielt meinen Mund an das Ohr des Schwarzen und flüsterte: »Sag, Byron, dein Freund, hat er vielleicht nicht mehr alle in der Pfanne?«
Der Schwarze rammte mir seinen Ellbogen in die Rippen. »Natürlich kann er reden, wie jeder andere.« Er schien nervös zu werden, trat von einem Bein aufs andere.
»Wer ist das?«, murmelte ich.
»Wenn ich dir seinen Namen verrate, beißt er uns die Kehlen durch«, antwortete mein Begleiter gedämpft. »Nietzsche hat ein Buch über ihn geschrieben …«
Der Bärtige schielte mich über Byrons Schulter hinweg verdrießlich an. »Sag, Byron, dein Freund, wie ist sein Name?«
»Kemufett … Ke …« Byron sah Hilfe suchend über seine Schulter. »Wie war doch gleich dieser dämliche Name?«
»Kematef.«
»Ah, ja.« Der Schwarze lächelte entschuldigend. »Sein Name ist Kematef.«
Die beiden Aufseher warfen sich einen vielsagenden Blick zu, blieben jedoch ebenso gelassen wie der Bärtige. Für das, was ich bis jetzt über den Archetypus der Chroner in Erfahrung gebracht hatte, spielte sich in den Mienen der beiden beunruhigend wenig ab. Keine Spur von Jähzorn oder Wut. Entweder standen die beiden unter Drogen, oder sie litten unter irgendeiner Form von Massenhypnose. Das würde auch die syntaktischen Meisterwerke erklären, in welche der Bärtige seine Fragen kleidete.
Modifikation der Grundidee, Variation I-VI …
»Sag, Byron, dein Freund«, ergriff zum ersten Mal einer der Chroner das Wort. Ich verdrehte die Augen und bewunderte, wie gefasst Byron blieb. »Ist er ein Günstling aus dem Palais der Meret?«
Byron bekam gespenstisch große Glupschaugen und drehte sich mit einem halb bestürzten, halb ungläubigen Gesichtsausdruck zu mir um. Ich machte wahrscheinlich ein ähnliches Gesicht, wobei sich noch ein dicker Kloß im Hals dazugesellte.
»Du kommst von Meretseger?«, krächzte der Schwarze. »Sag bitte, dass das nicht wahr ist.«
»Das – ist eine lange Geschichte«, erwiderte ich.
»Du Vollidiot!«, brauste Byron auf. »Ich wünschte, ich hätte meine Stimme in dem Augenblick verloren, als ich dir zum ersten Mal begegnet bin. Weißt du eigentlich, was du hier anrichtest? Du Eule zerstörst Stück für Stück meine Anonymität!«
»Ist ja gut, beruhig dich!«, beschwichtigte ich Byron.
Er nahm eine drohende Haltung ein. »Was bist du? Ein Spion? Oder ein Überläufer? Oder einfach nur eine Drohne?«
»Das tut im Moment nichts zur Sache.«
»Das tut es wohl. Ein Protektionskind mischt sich nicht ohne Grund unter die Verdammten.«
»Ein Verdammter verkleidet sich auch nicht ohne Grund als Pharaonenkrieger!«, konterte ich.
Byron schnaubte erbost. »Halt deine verdammte Schnauze!«, zischte er. »Du bist von Meret auf mich angesetzt worden, habe ich Recht?«
»Ich halte meine Schnauze.« Die Antwort kam gelassen, obwohl mir das Herz bis zum Hals schlug.
Der Schwarze packte mich wutentbrannt am Kragen und zischte: »Ich könnte dir im Bruchteil einer Sekunde das Genick brechen!«
Ich hielt die Spitze des Sekundenzeigers an seine Kehle. »Versuch es!«, forderte ich ihn heraus.
Byron funkelte mich an. Unsere Gesichter waren nur noch eine Handbreit voneinander entfernt. »Ich weiß zwar nicht, was sie von dir wollen«, presste er so leise zwischen den Zähnen hervor, dass ich es gerade noch verstehen konnte, »aber wir haben offenbar mehr gemeinsam,
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